Mittwoch, 27. Januar 2016

Antänzer vor Gericht - Mit der Milde des Rechtsstaates

Antänzer vor Gericht: Mit der Milde des Rechtsstaats - SPIEGEL ONLINE 
Die Richterin hat noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da legt Otman K. los. "Es ist das letzte Mal", beteuert der 18-Jährige. "Ich habe einen Fehler gemacht und entschuldige mich dafür." Er blickt zu Boden, als schäme er sich für die Tat. 
K. hat gemeinsam mit seinem Komplizen Mehdi E.-B., 19, am frühen Morgen des 3. Januar ein Handy vom Typ Samsung S3 gestohlen. Er näherte sich seinem Opfer mit dem sogenannten Fußballtrick und täuschte ein Dribbling vor. Dabei zog er dem jungen Mann das Telefon aus der Tasche. E.-B. sicherte die Szene ab. Als "Antänzer" bezeichnen Ermittler Trickdiebe, die sich einer solchen Methode bedienen, sie sind in Köln seit geraumer Zeit ein ziemliches Problem.
Die beiden Marokkaner, die in Deutschland Asyl beantragt haben, gehören nach Erkenntnissen der Polizei zudem zu einer Gruppe von fünf Männern, aus der heraus unmittelbar vor dem Diebstahl am Kölner Hauptbahnhof Frauen bedrängt worden sein sollen. Derzeit prüft die Ermittlungskommission "Neujahr" daher nach Informationen von SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL TV auch, ob K. und E.-B. unter den Sexualstraftätern der Silvesternacht waren. Die beiden sind damit zwei der bislang bekannten 19 Verdächtigen, gegen die derzeit wegen der Übergriffe ermittelt wird. 
Silvester in Köln? "Ich habe nichts gesehen" 
"Nein, nein", antwortet Mehdi E.-B. auf die Fragen der Reporter, ob er in der Silvesternacht Frauen am Kölner Hauptbahnhof attackiert habe. Er sei in Dortmund gewesen. Zehn Minuten später, bei einem zweiten Zusammentreffen vor dem Gericht, wird er behaupten, er habe Silvester im niederrheinischen Kleve gefeiert. "Ich habe nichts gesehen", sagt er noch und marschiert munter davon. 
In Saal 18 des Kölner Amtsgerichts hatten die beiden zuvor noch die reuigen Sünder gemimt. "Wir bitten um Vergebung", sagen sie. Es komme nicht wieder vor. Dabei sind die beiden Männer wohl nicht ganz so unbescholten, wie sie tun. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL TV reiste Mehdi E.-B. erst Anfang Dezember als Flüchtling in die Bundesrepublik ein und ließ sich in Rosenheim registrieren. Noch im selben Monat fiel er der Polizei bei einem Ladendiebstahl auf. Sein Komplize Otman K. lebt schon länger in Deutschland und ist der Polizei wegen Diebstahls und Körperverletzung bekannt. 
Der Bundespolizist, der K. und E.-B. am 3. Januar festgenommen hat, sagt vor Gericht, das Duo sei im Umgang mit der Polizei "abgezockt und routiniert" gewesen. "Sie haben sich so verhalten, wie sich dieses Klientel immer verhält", so Christoph G. Was das bedeute, fragt die Richterin. "Aggressiv uns gegenüber und zu allem bereit", antwortet der Beamte. 
Bundespolizist schiebt Frust 
Weil die beiden Trickdiebe im sogenannten Eilverfahren binnen einer Woche vor Gericht gestellt wurden, blieb den Behörden kaum Zeit für Ermittlungen: Wer sind die Täter? Welche Kontakte haben sie? Wovon leben sie? Die Justiz ist ahnungslos. 
"Sie haben Glück gehabt, dass unser Informationsstand so ist, wie er ist", sagt der Staatsanwalt. Obschon K. und E.-B. wegen eines gewerbsmäßigen Diebstahls angeklagt waren, verurteilt die Richterin sie schließlich nur wegen eines einfachen Diebstahls zu einer Woche Jugendarrest. "Das sollte nicht noch mal vorkommen", mahnt die Juristin. Und weil das Duo den Arrest mit der Untersuchungshaft bereits abgesessen hat, sind Mehdi E.-B. und Otman K. am Freitagmittag wieder frei. 
"Für uns Polizisten sind solche Urteile vollkommen unverständlich", kritisiert der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Es kann doch nicht sein, dass wir gerade in diesem Fall, in dem es Bezüge zu den Übergriffen an Silvester gibt, eine derart niedrige Strafe verhängen." Diese Nachsicht könne verheerende Folgen haben. "Leider verstehen gerade solche Täter die Milde eines Richters fälschlicherweise als Schwäche des Rechtstaats", so Rettinghaus. 
Tatsächlich gehen die gerade noch so reumütigen Trickdiebe schon wenige Minuten später lachend aus dem Gericht. Als der Bundespolizist Christoph G. das sieht, steigt er spontan aus seinem Wagen und schüttelt heftig den Kopf. "Ich fasse es nicht", sagt er. "Das ist für mich und für die Opfer wie ein Schlag ins Gesicht." Er sei sich sicher, die beiden Männer bald schon am Kölner Hauptbahnhof wiederzusehen, sagt G. "Und jetzt muss ich zum Dienst."

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