Von Deniz Baspinar Zeit Online 11. Januar 2016, 19:10 Uhr 702 Kommentare
So wie die Pegida-Bewegung uns etwas sagt über die psychische Verfasstheit Deutschlands im Jahr 2016, auch wenn die allermeisten Bürger dieses Landes sich zu Recht dagegen verwahren als rassistisch beschrieben zu werden, so erzählen uns auch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln etwas über die psychische Verfasstheit junger Männer aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum, ohne dass wir damit allgemeingültige Aussagen treffen über den arabischen, den nordafrikanischen Mann oder den muslimischen Mann.
Nehmen wir die Übergriffe in Köln als Symptom, müssen wir nach dem Konflikt fragen, der durch das Symptom angezeigt wird. Damit gelangen wir zum Thema Sexualität und zu einer repressiven Kultur, die Männer und Frauen ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts beraubt. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist zwar unabhängig von Kultur und Lebensstil immer ein Instrument der Machtdemonstration. Aber es lohnt trotzdem, einen Blick darauf zu werfen, wie Sexualität in der Herkunftskultur der mutmaßlich meisten Täter gelebt wird.
Nur so wird verständlich, warum ein Händedruck zwischen einem Mann und einer Frau ein Tabu sein kann. Für die meisten Menschen ist ein Händedruck ein Händedruck. Wer aber ständig damit beschäftigt ist, sexuelle Impulse abzuwehren, für den kann schon ein Händedruck eine gefährliche Verführung werden. Entsprechend existieren bewusste und unbewusste Verhaltenscodes in arabischen Ländern, die das Verhältnis zwischen Frauen und Männern regeln. So blickt man einem Fremden des anderen Geschlechts nicht direkt ins Gesicht oder lächelt ihn gar dabei an. Ein Mann und eine Frau halten sich auch nicht alleine in einem Raum auf, wenn sie einander fremd sind. Diese Regeln gelten also nicht nur für Frauen. Um die Tugendhaftigkeit eines Mannes zu rühmen, wird beispielsweise in der Türkei hervorgehoben, dass er keiner fremden Frau ins Gesicht schaue. Verdeckende Kleidung oder ein Kopftuch signalisieren Distanzierung und sexuelle Unverfügbarkeit.
Was passiert aber mit einer dermaßen desintegrierten Sexualität? Wenn Frauen und Männer sich nicht unbefangen begegnen können und ihre sexuellen Bedürfnisse keinen Raum finden? Die Sexualität ist eine machtvolle seelische Energie und lässt sich nicht von religiösen oder sozialen Regeln einfach ausschalten. Sie will sich entweder ausdrücken oder muss abgewehrt werden. Das Kopftuch dient jungen Frauen übrigens häufig dazu, ihre andrängenden sexuellen Wünsche in einem symbolischen Akt zu bannen. Eine andere Möglichkeit, mit Sexualität umzugehen, ist die Spaltung in Gut und Böse.
Spaltung in moralisch gute und schlechte Frauen
Während innerhalb des Familienverbandes sehr viele Regeln den Umgang zwischen den Geschlechtern und Generationen regulieren, kommt es im öffentlichen Raum immer wieder zu Übergriffen und verbalen Belästigungen. Derselbe junge Mann, der in Syrien, Ägypten oder in der Türkei die Ehre seiner weiblichen Verwandten mit allen Mitteln zu schützen bereit ist, belästigt auf der Straße andere junge Frauen. Eine Frau, die sich alleine im öffentlichen Raum bewegt, scheint in den Augen vieler dieser Männer herauszufallen aus dem Schutzraum Familie und verliert somit ihren Anspruch, unbelästigt ihres Weges gehen zu dürfen.
Projektion der sexuellen Wünsche auf die selbstbestimmte Frau
Natürlich haben auch in Ländern mit repressiver Sexualmoral Menschen vor und außer der Ehe sexuelle Kontakte. Allerdings werden die Frauen, mit denen Sex möglich ist, gleichzeitig herbeigesehnt und aggressiv abgewertet. Es handelt sich um moralisch "schlechte" Frauen. Die "guten" Frauen sind die Unverfügbaren, die erst nach der Heirat Sex erlauben. Diese Spaltung erlaubt es auch den oben genannten Widerspruch zu erklären, nämlich dass die belästigte Frau ja auch die Schwester oder Tochter eines anderen Mannes ist, der dem gleichen Ehrbegriff anhängt. Wer sich alleine und ohne Kopftuch im öffentlichen Raum aufhält gehört eben zu den "schlechten" Frauen.
Eigene sexuelle Wünsche werden auf die selbstbestimmte Frau projiziert
Durch den Mechanismus der Projektion wird dann den selbstbestimmt lebenden Frauen in den arabischen Ländern und natürlich auch den Frauen im Westen unterstellt, sie seien lüstern und wollten Männer verführen. Die eigenen sexuellen Wünsche werden also dem Gegenüber unterstellt, in diesem Fall der sich frei bewegenden und kleidenden Frau. Dies hat zur Folge, dass eine solchermaßen als moralisch verderbt etikettierte Frau auch ihren Anspruch auf Schutz und Unversehrtheit verliert und Ziel sexualisierter Gewalt werden kann. Es findet dadurch eine psychologische Gewaltlegitimierung statt, die solche Übergriffe wie die in Köln überhaupt erst möglich macht. Das ist der altbekannte Minirock-Vergewaltigung-Zusammenhang: "Die Schlampe hat es doch auch gewollt."
Die meisten Flüchtlinge oder Migranten aus arabischen Ländern belästigen keine Frauen. Diese Mechanismen können also nicht als Entschuldigung für die Täter dienen. Sie sind außerdem weder neu noch beschränken sie sich auf die arabische oder muslimische Welt – aber dort stellen sie eben ein virulentes Problem dar. Mit dem Zuzug von jungen Männern aus arabischen, nordafrikanischen und nahöstlichen Ländern aktualisiert sich bei uns ein Problem, das hier trotz stabiler gesellschaftlicher Ordnung nie wirklich gelöst oder überwunden war. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist keine Frage der Herkunft oder Religion. Einstellungen und Verhaltensweisen sind nicht ethnisch oder religiös festgelegt, sie unterliegen zeitlichen Veränderungen und gesellschaftlichem und sozialem Wandel.
Es besteht also Hoffnung für uns Frauen, dass sexualisierte Gewalt in dem Maße abnimmt, wie sie gesellschaftlich sanktioniert und geächtet wird.
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