Samstag, 18. April 2020

Erwartungen an Corona-Lockerungen zum 15.03.2020

Ich erwarte differenzierte Lösungen. Die Situation in Niedersachsen ist eine andere als in Bayern und Baden-Württemberg und in ländlichen Regionen eine andere als in den Hotspots der Großstädte.
Kommentar von Ulrich Reitz
Sonntag, 12.04.2020, 17:28
Armin Laschet (CDU) hat von seinem Expertenrat ein 15-seitiges Papier zur Handhabung der Krise erhalten. Mit diesem Dokument geht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident auf Distanz zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder CSU). Dafür hat Laschet aber gute Gründe.
Bestimmt das schwächste Glied in der Kette - etwa Bayern?
Dienstag, 14.04.2020, 17:24
Zwei Ansagen, eine Kanzlerin. Angela Merkel (CDU) will, dass in Deutschland einheitliche Corona-Auflagen gelten. Ausgerechnet die „Leopoldina“ aber, deren Urteil Merkel sehr wichtig ist, regt regional unterschiedliche Lösungen an. Wie nun also? Morgen entscheiden Merkel und die Ministerpräsidenten. Bleiben die Länder zusammen, dann bestimmen die schwächsten den Weg. Das hieße: vorsichtigste Lockerung. >>> weiterlesen

15.04.2020 19:00 Uhr: Der Berg hat gekreist und eine Maus geboren. Wie befürchtet, bestimmen Bayern und Hamburg, die größten Hotspots in Deutschland, die Trippelschritte der gesamten Republik!

Kommen heute Lockerungen in der Coronakrise?
VON CHRISTOPH SCHWENNICKE am 15. April 2020
Heute beraten Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten darüber, wie sie die Ausgangsbeschränkungen lockern können. Das Ganze wirkt mitunter wie ein gigantischer Marshmallow-Test: Wenn wir brav sind, gibt es vielleicht bald etwas Süßes. >>> weiterlesen

Mittwoch, 15. April 2020

Warum Deutschlands Lockdown falsch ist – und Schweden vieles besser macht (WELT)


Warum Deutschlands Lockdown falsch ist – und Schweden vieles besser macht (WELT)
Stand: 07:39 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten
Von Stefan Homburg
Während Deutschland still steht, sind in Schweden Schulen und Geschäfte geöffnet. Und trotzdem sinken auch dort die Neuinfektionen. Wie kann das sein? Unsere Strategie beruht auf einem riesigen Vorhersagefehler des RKI – mit riskanten Nebenwirkungen. 
In Europa konnten an Ostern nur die Schweden zur Messe oder zu einer größeren Trauerfeier gehen. Dort sind die Nachtclubs voll, die Geschäfte geöffnet, und die Kinder gehen zur Schule. Obwohl es keinen Lockdown gibt, ist die Zahl der registrierten neuen Corona-Infektionen auch in Schweden rückläufig. Wie ist das zu erklären? 
Werfen wir zunächst einen Blick auf Deutschland. Die gemeldeten Neufälle, die den Infektionen verzögert folgen, sind schon seit drei Wochen rückläufig. Die Zahl der Todesfälle wiederum hat ein Plateau erreicht und sinkt nun auch. 
Laut Fachliteratur vergehen zwischen Infektion und Tod durchschnittlich 23 Tage, und dieser Umstand ist sehr wichtig. Er bedeutet nämlich, dass die nicht direkt beobachtbaren Neuinfektionen ihren Höhepunkt viel früher erreicht haben als die Sterbefälle. Weil die geglättete Kurve der Sterbefälle ihr Maximum am 7. April annahm, wurde das Maximum der Neuinfektionen schon Mitte März erreicht – und damit vor dem Lockdown, der am 23. März beschlossen wurde und am Tag darauf in Kraft trat. 
Umgekehrt formuliert kann sich der Lockdown infolge der genannten Verzögerung in den bisherigen Sterberaten noch gar nicht zeigen; er wird frühestens Mitte April sichtbar. Der Rückgang von Neuinfektionen und Sterbefällen hat nichts mit dem Lockdown zu tun, sondern mit dem natürlichen Verlauf jeder Epidemie und natürlich den ergriffenen konventionellen Abwehrmaßnahmen wie Hygiene, Testung und Quarantäne. 
Schwedens Zahlen unterstreichen die Richtigkeit dieser These. Auch dort nahm die Zahl der täglichen Todesfälle erst zu, dann sank sie. Trotz des Verzichts auf einen Lockdown: von „exponentiellem“ Wachstum bei den Todesfällen keine Spur. 
Zwar verzeichnet Schweden eine höhere sogenannte Fallsterblichkeit als Deutschland, doch sind seine Krankenhäuser keineswegs überlastet, und darauf kommt es an. Zudem werden in Schweden am Anfang der nächsten Virensaison mehr Menschen immun sein als in Deutschland. Insgesamt erscheint die schwedische Politik sehr rational und unaufgeregt. 
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In Deutschland stritt man das Problem zunächst ab, behauptete dann, Deutschland sei gut gerüstet und veranlasste den Export von Gesichtsmasken nach China. Am 20. März aber, als das Coronavirus in China und Südkorea längst eingedämmt war, mit Sterblichkeiten von deutlich weniger als 0,001 Prozent der Bevölkerung, wartete das Robert Koch Institut (RKI) plötzlich mit Szenarien auf, die mindestens 300.000 deutsche Todesfälle voraussagten. Drei Tage später folgte der Lockdown-Beschluss. Bisher sind in Deutschland rund 3000 Menschen mit Covid19-Diagnose verstorben, und diese Zahl wird kaum noch wesentlich steigen. 
Der gigantische Vorhersagefehler des RKI hat, um den zentralen Punkt zu wiederholen, nicht das geringste mit dem Lockdown zu tun, weil dessen Wirkungen erst Mitte April in den Sterberaten sichtbar werden können. 
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Ursprünglich wollte Deutschland eine Überlastung der Krankenhäuser vermeiden, und am 28. März versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Podcast, der Lockdown könne beendet werden, sobald die Verdopplungszeit (also die Zeit, in der sich die gemeldeten Fälle verdoppeln), in Richtung zehn Tage wachse. 
Diese Zielmarke war rasch erreicht, weshalb Kanzleramtschef Helge Braun nachschob, wünschenswert seien zehn bis vierzehn Tage. Inzwischen beträgt die Verdopplungszeit mehr als 30 Tage. Der Lockdown besteht indes weiterhin.

Gegen den Kurswechsel des RKI sprechen drei Gründe 

Und warum? Weil RKI und Politik den Indikator gewechselt haben und nunmehr die Reproduktionszahl hervorheben. Anders als die direkt messbare Verdopplungszeit hängt diese aber von unbekannten Faktoren ab; sie ist schlicht nicht überprüfbar. 
Eine Reproduktionszahl von Eins bedeutet, dass die gemeldeten Neuinfektionen stabil bleiben. In seiner Pressekonferenz vom 3. April erklärte RKI-Chef Lothar Wieler, der Wert Eins sei erreicht, das „wisse man“. Ohne Aufmerksamkeit zu erregen fuhr Wieler fort, er wolle die Reproduktionszahl künftig auf Werte unter Eins drücken. Damit ersetzte das RKI das Eindämmungsziel durch ein Ausrottungsziel. 
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Obwohl das Institut nach abermaligem Wechsel der Berechnungsmethode inzwischen wieder höhere Werte meldet, muss man diesem Kurswechsel aus drei Gründen grundsätzlich widersprechen. 
Erstens ist es nicht sinnvoll, jeden einzelnen Sterbefall infolge einer Coronainfektion zu eliminieren. In Anbetracht unzähliger Verkehrs-, Arbeits- und Freizeitunfälle müsste man dann nämlich alle menschlichen Aktivitäten untersagen. 
Zweitens sinkt beim Ausrottungsziel die Zahl derjenigen Personen, die trotz Infektion gesund bleiben und anschließend immun sind. Will man zum Start der nächsten Virensaison einen neuen Lockdown? Jedes Jahr? 
Drittens müssen Sterbefälle mit Coronadiagnose gegen andere Sterbefälle aufgerechnet werden, die erst durch den Lockdown entstehen. Wer zählt die Menschen, die wegen verschobener Operationen gestorben sind, obgleich die vorhergesagte „Coronawelle“ nie kam und auch nicht kommen wird? Wer zählt die Suizide, die erfahrungsgemäß schon bei leichten Rezessionen zunehmen? Und wer bedenkt, dass eine marode Volkswirtschaft auf Dauer auch im Gesundheitssystem kürzen muss?
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Nach dem Ende des Shutdowns

Zusammengefasst haben Länder wie Schweden, Südkorea oder Taiwan mit ihrem Verzicht auf Lockdowns klug gehandelt. Die dortigen Virologen führten Bevölkerung und Politik mit ruhiger Hand durch die Krise, statt sie durch ständige Kurswechsel zu verunsichern. Das Coronavirus wurde ohne Schaden für Grundrechte und Arbeitsplätze erfolgreich eingedämmt. Deutschland sollte sich diese Politik zum Vorbild nehmen.
Professor Stefan Homburg ist Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover.

Dienstag, 7. April 2020

Hätte Deutschland auf Corona vorbereitet sein können?

Deutschland hätte auf „Corona“ vorbereitet sein können. Hätte man  den Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 ernstgenommen oder zumindest gelesen, dann hätte man Pläne wenigstens in der Schublade gehabt und kein planloses Chaos. Dann hätte man die pharmakologische Forschung vorantreiben können. Eigentlich. Eigentlich wäre das alles möglich gewesen, denn immerhin hat sich der Bundestag erstmals 2003 und dann sehr intensiv 2012 mit einer hypothetischen Pandemie durch ein Virus „Modi-SARS“ befasst.
Hier die interessantesten Aussagen des Jahres 2012:
S. 60, Fußnote (!) 3
Der Verlauf der SARS-Epidemie 2003 hat gezeigt, dass extrem wenige Fälle ausreichen können, um ein globales Infektionsgeschehen auszulösen.
S. 61/62
Es wird angenommen, dass jeder Infizierte im Durchschnitt drei Personen infiziert und es jeweils drei Tage dauert, bis es zur nächsten Übertragung kommt. Sogenannte „Super Spreader“ werden hierbei nicht berücksichtigt.
Die Ausbreitung wird auch durch den Einsatz antiepidemischer Maßnahmen verlangsamt und begrenzt. Solche Maßnahmen sind etwa Quarantäne für Kontaktpersonen von Infizierten oder andere Absonderungsmaßnahmen wie die Behandlung von hochinfektiösen Patienten in Isolierstationen unter Beachtung besonderer Mittel zur Eindämmung sind beispielsweise Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen. Neben diesen Maßnahmen, die nach dem Infektionsschutzgesetz angeordnet werden können, gibt es weitere Empfehlungen, die zum persönlichen Schutz, z. B. bei beruflich exponierten Personen, beitragen wie die Einhaltung von Hygieneempfehlungen. Die antiepidemischen Maßnahmen beginnen, nachdem zehn Patienten in Deutschland an der Infektion verstorben sind.
S. 64
Über den Zeitraum der ersten Welle (Tag 1 bis 411) erkranken insgesamt 29 Millionen, im Verlauf der zweiten Welle (Tag 412 bis 692) insgesamt 23 Millionen und während der dritten Welle (Tag 693 bis 1052) insgesamt 26 Millionen Menschen in Deutschland. Für den gesamten zugrunde gelegten Zeitraum von drei Jahren ist mit mindestens 7,5 Millionen Toten als direkte Folge der Infektion zu rechnen. Zusätzlich erhöht sich die Sterblichkeit sowohl von an Modi-SARS Erkrankten als auch anders Erkrankter sowie von Pflegebedürftigen, da sie aufgrund der Überlastung des medizinischen und des Pflegebereiches keine adäquate medizinische Versorgung bzw. Pflege mehr erhalten können
S. 65
Das hier vorgestellte Szenario geht davon aus, dass schon früh im Verlauf antiepidemische Maßnahmen eingeleitet werden, die dazu führen, dass jeder Infizierte im Durchschnitt nicht drei, sondern 1,6 Personen infiziert. Die Gegenmaßnahmen werden nur für den Zeitraum von Tag 48 bis Tag 408 angenommen.
S. 67
Zu den behördlichen Maßnahmen im Gesundheitswesen zählen Absonderung, Isolierung und Quarantäne. Absonderung beschreibt die räumlichen und zeitlichen Absonderungsmaßnahmen von Kranken, Krankheits- und Ansteckungsverdächtigen voneinander und auch von empfänglichen, nicht-infizierten Personen, aber auch in Gruppen (Kohorten-Isolierung, -Quarantäne, Haushaltsquarantäne).
S. 73
Die personellen und materiellen Kapazitäten reichen nicht aus, um die gewohnte Versorgung aufrecht zu erhalten. Der aktuellen Kapazität von 500.000 Krankenhausbetten (reine Bettenanzahl, von denen ein Teil bereits von anders Erkrankten belegt ist, die Bettenzahl ließe sich durch provisorische Maßnahmen leicht erhöhen) stehen im betrachteten Zeitraum (1. Welle) mehr als 4 Millionen Erkrankte gegenüber, die unter normalen Umständen im Krankenhaus behandelt werden müssten. Der überwiegende Teil der Erkrankten kann somit nicht adäquat versorgt werden, so dass die Versorgung der meisten Betroffenen zu Hause erfolgen muss. Notlazarette werden eingerichtet.
Auch im Gesundheitsbereich kommt es zu überdurchschnittlich hohen Personalausfällen (z. B. aufgrund erhöhter Ansteckungsgefahr, psychosozialer Belastungen) bei gleichzeitig deutlich erhöhtem Personalbedarf.
Arzneimittel, Medizinprodukte, persönliche Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel werden verstärkt nachgefragt. Da Krankenhäuser, Arztpraxen und Behörden in der Regel auf schnelle Nachlieferung angewiesen sind, die Industrie die Nachfrage jedoch nicht mehr vollständig bedienen kann, entstehen Engpässe.
Aufgrund der hohen Sterberate stellt auch die Beisetzung der Verstorbenen eine große Herausforderung dar (Massenanfall an Leichen, Sorge vor Infektiosität).
S. 76/77
Es ist über den gesamten Zeitraum mit mindestens 7,5 Millionen Toten zu rechnen.
Allein während der ersten Erkrankungswelle ist gleichzeitig mit 6 Millionen Erkrankten zu rechnen. Über den gesamten Zeitraum ist die Zahl der Erkrankten noch deutlich höher.
S. 78
Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind hier nicht konkret abschätzbar, könnten allerdings immens sein. Da im gesamten Ereignisverlauf mindestens 7,5 Millionen Menschen sterben, ist trotz der Altersverteilung der Letalitätsrate mit dem Tod einer Vielzahl von Erwerbstätigen zu rechnen. Sollten z. B. vier Millionen Erwerbstätige versterben, wären dies ca. zehn Prozent aller Erwerbstätigen, dieser Verlust wäre volkswirtschaftlich deutlich spürbar und mit einem hohen Einbruch des Bruttoinlandprodukts verbunden.
Mit massiven Kosten für die öffentliche Hand ist zu rechnen, u.a. durch den Verbrauch von medizinischem Material und Arzneimitteln sowie durch die Entwicklung und Beschaffung eines Impfstoffes. Durch den Ausfall von Wirtschaftsleistung sind geringere Steuereinnahmen zu erwarten. Dies führt in Verbindung mit dem Anstieg der Gesundheitskosten voraussichtlich zu einer erheblichen Belastung der Sozialversicherungssysteme, vor allem der gesetzlichen Krankenversicherung.
S. 79/80
Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass eine zunehmende Verunsicherung und das Gefühl, durch die Behörden und das Gesundheitswesen im Stich gelassen zu werden, aggressives und antisoziales Verhalten fördert. Hierunter fallen z. B. Einbrüche/Diebstähle, z. B. zur Erlangung von Medikamenten (z. B. Antibiotika) usw. Plünderungen und Vandalismus, Handel mit gefälschten Medikamenten, Aktionen gegen Behörden oder Gesundheitseinrichtungen (aus Verärgerung, z. B. wegen vermeintlich ungerechter Behandlung bei medizinischer Versorgung)

Wie gesagt: „Eigentlich“ hatte man über eine Pandemie des Corona-Ausmaßes nachgedacht. Aber Politik und Medien haben lieber weggeschaut nach dem Motto: "Einige Antworten hätte die Bevölkerung unnötig beunruhigt". (de Maizière)..

Freitag, 3. April 2020

Das Virus offenbart ein großes Manko dieses Landes


Disziplin und Klopapier
Das Virus offenbart ein großes Manko dieses Landes
Von Richard Drexl Do, 2. April 2020
Das ausverkaufte Klopapier steht sinnbildlich für die Disziplinlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Ohne eine minimale Disziplin der Staatsbürger gerät eine Spaß- und Null-Risiko-Gesellschaft an den Rand des Scheiterns. Asiatische Länder zeigen uns, wie es besser geht.
Viele Bürger reagieren mit Hamsterkäufen auf die Krise, die das rasant sich ausbreitende Corona-Virus verursacht. Ausgerechnet Klopapier wird knapp, die Supermärkte und deren Lager sind leer. Dabei kennt man Mangelzustände höchstens noch aus dem Geschichtsbuch oder von Berichten aus den Elendsregionen dieser Welt. Lediglich Menschen über 80 haben noch die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt; Phasen unserer jüngeren Geschichte, in denen viele Bedürfnisse offen bleiben mussten.
Das ausverkaufte Klopapier steht dabei sinnbildlich für die Disziplinlosigkeit von Teilen der Bevölkerung, die in der Krisenlage zu Tage treten. Zahlreiche Bürger halten sich nicht an die Appelle, Hamsterkäufe zu unterlassen und schlimmer noch, zur Eindämmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus den direkten Kontakt mit anderen auf das unabdingbare Maß zu reduzieren. In München waren Biergärten und Straßencafes voll, die Leute scherten sich nicht um die Ansteckungsrisiken, die von diesem Verhalten ausgehen. Jeder ist sich selbst der Nächste, Partyspaß ist wichtiger.
Zum Vergleich ein Blick nach Asien: Übereinstimmende Berichte aus China, Südkorea oder Japan belegen, dass dort zur Bekämpfung der Pandemie diszipliniert den regierungsamtlichen Anweisungen gefolgt wird. Die Straßen waren nach den entsprechenden Verfügungen der Behörden leer, die Bürger zeigen dort großes Verständnis und helfen nach Kräften mit, der viralen Bedrohung Einhalt zu gebieten. Mit Erfolg, wie bisherige Zahlenvergleiche belegen.
SPD und Disziplin
Inzwischen sind wir in Deutschland in eine Lage geraten, dass selbst der SPD-Generalsekretär die Bürger mit Blick auf generell drohende Ausgangssperren zu mehr Disziplin aufgefordert hat. SPD-Politiker und die Forderung nach Disziplin, wann hätte es das schon mal gegeben? Wir erinnern uns an den SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der sich über Sekundärtugenden[1] ausgelassen hat. Dieser äußerte im Jahr 1982 in der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss, mit den von Bundeskanzler Helmut Schmidt gelobten Sekundärtugenden Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit und Standhaftigkeit könne man „auch ein KZ betreiben“. Ideologie getriebene Kurzsichtigkeit als Rezept für das Regierungshandeln, die 68er lassen grüßen. Über die Jahre hat sich diese höchst fragwürdige Einstellung verbreitet und mit dazu beigetragen, Recht und Ordnung, Disziplin und Sorgfalt in den Geruch von Unfreiheit und Despotismus zu bringen. Nun können wir in der Not in Teilen unserer Gesellschaft nicht auf Tugenden zurückgreifen, die zum Schutz von Risikogruppen gebraucht werden. Die ganze Bürgerschaft wurde von den verfügten Einschränkungen in der Lebensführung unvorbereitet getroffen, städtische Milieus rebellieren. Dass bei dieser hinlänglich bekannten Ausgangslage Bundesregierung und Landesregierungen unverantwortlich lange auf Einsicht und Freiwilligkeit gesetzt haben, um sich an umgehend gebotenen Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten vorbei zu mogeln, ist Teil des Sachstandes.
Was sagt das nun über das Funktionieren und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aus und welche Schlüsse können aus diesem Sachverhalt gezogen werden? Einige Ursachen für dieses desaströse Verhalten der Gemeinschaft gegenüber werden unserer Geschichte zugeschrieben.
Individuelle Freiheitsrechte versus Rechte der Gemeinschaft
Die Freiheitsrechte bilden neben den Gleichheits-, den Verfahrens- und Teilhaberechten eine eigene Kategorie der Grundrechte. Ein souveräner Staat muss auf seinem Staatsgebiet die Staatsgewalt über sein Staatsvolk ausüben. Diese Macht des Staates steht in einem prinzipiellen Gegensatz zur Freiheit des Einzelnen. Zur Verhinderung staatlicher Allmacht werden in freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten daher die Eingriffsrechte des Staates begrenzt und den Menschen Individualrechte eingeräumt. Soweit so gut. Die Frage steht dabei ständig im Raum, inwieweit eine Balance gelingt zwischen der Staatsgewalt und dem Individuum, zwischen den Rechten der Gemeinschaft, die notwendig sind, damit diese halbwegs funktionieren kann und dem Freiraum des Einzelnen. Dieser soll sich individuell soweit entfalten können, bis die Rechte anderer tangiert werden. Diese Balance scheint bei uns aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Den Individualrechten in unserer Gesellschaft wurde im Laufe der Zeit eine immer höhere Priorität zuerkannt, der Gemeinsinn ging bei zu Vielen verloren. Zu den fragwürdigen Hinterlassenschaften der 68er zählt zweifellos, dass staatliche Durchgriffsrechte beschnitten wurden zugunsten von Toleranz, Freiheit, Vielfalt, Gleichheit und Weltoffenheit. Eine der Begründungen dafür waren die Erfahrungen mit der Nazidiktatur, in der der Einzelne nichts galt und den Rechten der Volksgemeinschaft absoluter Vorrang eingeräumt wurde. Von einem Extrem ins andere könnte man sagen.
Bevor jedenfalls in unserem Lande die individuellen Rechte beschnitten und der Gemeinschaft, um nicht zusagen der Staatsgewalt, mehr Möglichkeiten eingeräumt werden, muss schon einiges passieren. An dieser Stelle sind wir nun im Zuge der Corona-Pandemie angelangt. Staatliche Instanzen beschneiden inzwischen rigoros die Bürgerrechte auf freie Gestaltung des Tagesablaufes, der Bewegungsfreiheit wie auch von Sozialkontakten. Zur Eindämmung des Virus wird dies nun erforderlich sein, ganze Bevölkerungsschichten vornehmlich in den großen Städten verweigerten sich aber dieser Einsicht. Die Folge ist eine generelle, von Polizei und Ordnungsdiensten überwachte Ausgangsbeschränkung. Das beispiellose Herunterfahren nahezu aller wirtschaftlichen Aktivitäten wird gewaltige volkswirtschaftliche Einbußen mit sich bringen und alle treffen: die bisher bereits alle Einschränkungen aus Einsicht mitgemacht haben, zum Glück auch die Verweigerer.
Vollbremsung eines ganzen Landes
Mit mehr Disziplin wäre diese gesellschaftliche Vollbremsung zu vermeiden gewesen. Disziplin wird allerdings in unserer pazifistisch geprägten Republik in die Nähe von Befehl und Gehorsam gerückt. Dabei ist darunter keine Knechtschaft zu verstehen, sondern die Selbststeuerungskompetenz aus Einsicht im Kontext unserer Wertvorstellungen. Diszipliniertes Verhalten verlangt immerhin, sich Geboten, Verboten und Anweisungen zu unterwerfen. Da liegt der Hase im Pfeffer. Dem Militär wird dies nolens volens zugebilligt, für freie Bürger in einer überindividualisierten Gesellschaft wird dies zum Teufelszeug. Militärische Einheiten funktionieren ohne Disziplin und Gehorsam zweifellos nicht. Sogar Drill gehört dazu, um in Gefechtssituationen auf automatisierte Abläufe zurückgreifen zu können, die für rasche und einheitliche Reaktion unabdingbar sind. Die bürgerlichen Freiheitsrechte werden dadurch aber nicht aufgehoben.
Am Rande: Über den Erfolg im Leben entscheiden nicht allein Intelligenz oder Durchsetzungsvermögen. Wichtiger sind oft unterschätzte, altbekannte Eigenschaften wie Geduld und Disziplin. Charakterliche Merkmale, die es im Sinne des Einzelnen wie auch der Gesellschaft zu fördern gilt. Nicht zuletzt steht Disziplin in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Moral und Wohlbefinden.
Spaß- und Null-Risiko-Gesellschaft in der Bredouille
Nun aber sind wir in eine Lage geraten, in der diszipliniertes Verhalten mit Polizeigewalt durchgesetzt werden muss, dem Bürger wird bis zu einem gewissen Grad Gehorsam gegenüber staatlichen Weisungen abverlangt. Ein tolles Ergebnis des gemeinschaftswidrigen Verhaltens egoistischer Toleranzprediger. Wenn es nur die Verweigerer träfe, könnte man klammheimlich Freude darüber empfinden. Die eigentlich Leidtragenden der Entwicklung aber sind die Älteren und Schwächeren in unserer Gesellschaft.
Und was lernen wir daraus? Ohne eine minimale Disziplin der Staatsbürger gerät auch eine Spaß- und Null-Risiko-Gesellschaft an den Rand des Scheiterns. In einer Pandemie-Situation wird diszipliniertes Verhalten rasch zur Grundbedingung, um Risiken zu begrenzen. Diese Erkenntnis verlangt nach Konsequenzen in der ganzen Breite der Gesellschaft. Von den Elternhäusern über die Schulen bis zu den Betrieben und nicht zuletzt auf allen politischen Ebenen. Asiatische Länder sind uns diesbezüglich meilenweit voraus, es wird Zeit, daraus zu lernen und der Gemeinschaft wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen im Vergleich zu den Rechten des Individuums. Sonst fehlen uns Bürgern am Ende nicht nur das Klopapier, sondern die gemeinschaftliche Kraft zur Bewältigung großer Herausforderungen. Einsicht ist gefragt anstelle ideologischer Vorbehalte, die Zukunft wartet nicht auf uns.
Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat vor Jahren bereits die passenden Worte gefunden: „In unserer Zeit besteht keine Gefahr eines Übermaßes an Disziplin, Pflichtgefühl und Gemeinschaftsdienst. Heute herrscht weit eher ein Mangel an der Fähigkeit, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sondern sich zugunsten von anderen zurückzustellen.“
Wir haben kein Erkenntnisproblem in unserer Gesellschaft, sondern die Aufgabe, endlich gebotene Regelungen gegen den Widerstand einzelner Gruppen durchzusetzen. Die Corona-Krise bietet die Chance dazu.
[1] Zu den bürgerlichen oder auch Sekundärtugenden werden insbesondere Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflicht­bewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Höflichkeit, Sauberkeit u. a. m. gezählt.
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/das-virus-offenbart-ein-grosses-manko-dieses-landes/?fbclid=IwAR0Xe8P5XoDhz9rvJfz1TLCmO8LfhwcG_sayAAXFFNqbRZm9IR7hZMPNjJI