Warum Deutschlands
Lockdown falsch ist – und Schweden vieles besser macht (WELT)
Stand: 07:39 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten
Von Stefan Homburg
Während
Deutschland still steht, sind in Schweden Schulen und Geschäfte geöffnet. Und
trotzdem sinken auch dort die Neuinfektionen. Wie kann das sein? Unsere
Strategie beruht auf einem riesigen Vorhersagefehler des RKI – mit riskanten
Nebenwirkungen.
In Europa konnten an Ostern nur die Schweden zur Messe oder zu
einer größeren Trauerfeier gehen. Dort sind die Nachtclubs voll, die Geschäfte
geöffnet, und die Kinder gehen zur Schule. Obwohl es keinen Lockdown gibt, ist
die Zahl der registrierten neuen Corona-Infektionen auch in Schweden
rückläufig. Wie ist das zu erklären?
Werfen wir zunächst einen Blick auf Deutschland. Die gemeldeten
Neufälle, die den Infektionen verzögert folgen, sind schon seit drei Wochen
rückläufig. Die Zahl der Todesfälle wiederum hat ein Plateau erreicht und sinkt
nun auch.
Laut Fachliteratur vergehen zwischen Infektion und Tod
durchschnittlich 23 Tage, und dieser Umstand ist sehr wichtig. Er bedeutet
nämlich, dass die nicht direkt beobachtbaren Neuinfektionen ihren Höhepunkt
viel früher erreicht haben als die Sterbefälle. Weil die geglättete Kurve der
Sterbefälle ihr Maximum am 7. April annahm, wurde das Maximum der Neuinfektionen
schon Mitte März erreicht – und damit vor dem Lockdown, der am 23. März
beschlossen wurde und am Tag darauf in Kraft trat.
Umgekehrt formuliert kann sich der Lockdown infolge der genannten
Verzögerung in den bisherigen Sterberaten noch gar nicht zeigen; er wird
frühestens Mitte April sichtbar. Der Rückgang von Neuinfektionen und
Sterbefällen hat nichts mit dem Lockdown zu tun, sondern mit dem natürlichen
Verlauf jeder Epidemie und natürlich den ergriffenen konventionellen Abwehrmaßnahmen
wie Hygiene, Testung und Quarantäne.
Schwedens Zahlen unterstreichen die Richtigkeit dieser These. Auch
dort nahm die Zahl der täglichen Todesfälle erst zu, dann sank sie. Trotz des
Verzichts auf einen Lockdown: von „exponentiellem“ Wachstum bei den Todesfällen
keine Spur.
Zwar verzeichnet Schweden eine höhere sogenannte Fallsterblichkeit
als Deutschland, doch sind seine Krankenhäuser keineswegs überlastet, und
darauf kommt es an. Zudem werden in Schweden am Anfang der nächsten Virensaison
mehr Menschen immun sein als in Deutschland. Insgesamt erscheint die
schwedische Politik sehr rational und unaufgeregt.
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In
Deutschland stritt man das Problem zunächst ab, behauptete dann, Deutschland
sei gut gerüstet und veranlasste den Export von Gesichtsmasken nach China. Am
20. März aber, als das Coronavirus in China und Südkorea längst eingedämmt war,
mit Sterblichkeiten von deutlich weniger als 0,001 Prozent der Bevölkerung,
wartete das Robert Koch
Institut (RKI) plötzlich mit Szenarien auf, die
mindestens 300.000 deutsche Todesfälle voraussagten. Drei Tage später folgte
der Lockdown-Beschluss. Bisher sind in Deutschland rund 3000 Menschen mit
Covid19-Diagnose verstorben, und diese Zahl wird kaum noch wesentlich steigen.
Der gigantische Vorhersagefehler des RKI hat, um den zentralen
Punkt zu wiederholen, nicht das geringste mit dem Lockdown zu tun, weil dessen
Wirkungen erst Mitte April in den Sterberaten sichtbar werden können.
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Ursprünglich wollte Deutschland eine Überlastung der Krankenhäuser
vermeiden, und am 28. März versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem
Podcast, der Lockdown könne beendet werden, sobald die Verdopplungszeit (also die
Zeit, in der sich die gemeldeten Fälle verdoppeln), in Richtung zehn Tage
wachse.
Diese
Zielmarke war rasch erreicht, weshalb Kanzleramtschef Helge Braun nachschob,
wünschenswert seien zehn bis vierzehn Tage. Inzwischen beträgt die
Verdopplungszeit mehr als 30 Tage. Der Lockdown besteht indes weiterhin.
Gegen den Kurswechsel des RKI sprechen drei Gründe
Und warum?
Weil RKI und Politik den Indikator gewechselt haben und nunmehr die
Reproduktionszahl hervorheben. Anders als die direkt messbare Verdopplungszeit
hängt diese aber von unbekannten Faktoren ab; sie ist schlicht nicht
überprüfbar.
Eine
Reproduktionszahl von Eins bedeutet, dass die gemeldeten Neuinfektionen stabil
bleiben. In seiner Pressekonferenz vom 3. April erklärte RKI-Chef Lothar
Wieler, der Wert Eins sei erreicht, das „wisse man“. Ohne Aufmerksamkeit zu
erregen fuhr Wieler fort, er wolle die Reproduktionszahl künftig auf Werte unter
Eins drücken. Damit ersetzte das RKI das Eindämmungsziel durch ein Ausrottungsziel.
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Obwohl das
Institut nach abermaligem Wechsel der Berechnungsmethode inzwischen wieder
höhere Werte meldet, muss man diesem Kurswechsel aus drei Gründen grundsätzlich
widersprechen.
Erstens ist es nicht sinnvoll, jeden einzelnen Sterbefall infolge einer
Coronainfektion zu eliminieren. In Anbetracht unzähliger Verkehrs-, Arbeits-
und Freizeitunfälle müsste man dann nämlich alle menschlichen Aktivitäten
untersagen.
Zweitens sinkt beim Ausrottungsziel die Zahl derjenigen Personen, die
trotz Infektion gesund bleiben und anschließend immun sind. Will man zum Start
der nächsten Virensaison einen neuen Lockdown? Jedes Jahr?
Drittens müssen Sterbefälle mit Coronadiagnose gegen andere Sterbefälle
aufgerechnet werden, die erst durch den Lockdown entstehen. Wer zählt die
Menschen, die wegen verschobener Operationen gestorben sind, obgleich die
vorhergesagte „Coronawelle“ nie kam und auch nicht kommen wird? Wer zählt die
Suizide, die erfahrungsgemäß schon bei leichten Rezessionen zunehmen? Und wer
bedenkt, dass eine marode Volkswirtschaft auf Dauer auch im Gesundheitssystem
kürzen muss?
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Ende des Shutdowns
Zusammengefasst haben Länder wie Schweden, Südkorea oder Taiwan
mit ihrem Verzicht auf Lockdowns klug gehandelt. Die dortigen Virologen führten
Bevölkerung und Politik mit ruhiger Hand durch die Krise, statt sie durch
ständige Kurswechsel zu verunsichern. Das Coronavirus wurde ohne Schaden für
Grundrechte und Arbeitsplätze erfolgreich eingedämmt. Deutschland sollte sich
diese Politik zum Vorbild nehmen.
Professor Stefan Homburg ist Direktor des Instituts für
Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover.
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