Disziplin und Klopapier
Das Virus offenbart ein großes Manko dieses Landes
Das
ausverkaufte Klopapier steht sinnbildlich für die Disziplinlosigkeit von Teilen
der Bevölkerung. Ohne eine minimale Disziplin der Staatsbürger gerät eine Spaß-
und Null-Risiko-Gesellschaft an den Rand des Scheiterns. Asiatische Länder
zeigen uns, wie es besser geht.
Viele Bürger reagieren
mit Hamsterkäufen auf die Krise, die das rasant sich ausbreitende Corona-Virus
verursacht. Ausgerechnet Klopapier wird knapp, die Supermärkte und deren Lager
sind leer. Dabei kennt man Mangelzustände höchstens noch aus dem Geschichtsbuch
oder von Berichten aus den Elendsregionen dieser Welt. Lediglich Menschen über
80 haben noch die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt; Phasen unserer jüngeren
Geschichte, in denen viele Bedürfnisse offen bleiben mussten.
Das ausverkaufte
Klopapier steht dabei sinnbildlich für die Disziplinlosigkeit von Teilen der
Bevölkerung, die in der Krisenlage zu Tage treten. Zahlreiche Bürger halten
sich nicht an die Appelle, Hamsterkäufe zu unterlassen und schlimmer noch, zur
Eindämmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus den direkten Kontakt mit anderen
auf das unabdingbare Maß zu reduzieren. In München waren Biergärten und
Straßencafes voll, die Leute scherten sich nicht um die Ansteckungsrisiken, die
von diesem Verhalten ausgehen. Jeder ist sich selbst der Nächste, Partyspaß ist
wichtiger.
Zum Vergleich ein Blick nach Asien: Übereinstimmende
Berichte aus China, Südkorea oder Japan belegen, dass dort zur Bekämpfung der
Pandemie diszipliniert den regierungsamtlichen Anweisungen gefolgt wird. Die
Straßen waren nach den entsprechenden Verfügungen der Behörden leer, die Bürger
zeigen dort großes Verständnis und helfen nach Kräften mit, der viralen
Bedrohung Einhalt zu gebieten. Mit Erfolg, wie bisherige Zahlenvergleiche
belegen.
SPD und Disziplin
Inzwischen sind wir in
Deutschland in eine Lage geraten, dass selbst der SPD-Generalsekretär die
Bürger mit Blick auf generell drohende Ausgangssperren zu mehr Disziplin
aufgefordert hat. SPD-Politiker und die Forderung nach Disziplin, wann hätte es
das schon mal gegeben? Wir erinnern uns an den SPD-Vorsitzenden Oskar
Lafontaine, der sich über Sekundärtugenden[1]
ausgelassen hat. Dieser äußerte im Jahr 1982 in der Auseinandersetzung um den
NATO-Doppelbeschluss, mit den von Bundeskanzler Helmut Schmidt gelobten
Sekundärtugenden Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit und
Standhaftigkeit könne man „auch ein KZ betreiben“. Ideologie getriebene
Kurzsichtigkeit als Rezept für das Regierungshandeln, die 68er lassen grüßen.
Über die Jahre hat sich diese höchst fragwürdige Einstellung verbreitet und mit
dazu beigetragen, Recht und Ordnung, Disziplin und Sorgfalt in den Geruch von
Unfreiheit und Despotismus zu bringen. Nun können wir in der Not in Teilen
unserer Gesellschaft nicht auf Tugenden zurückgreifen, die zum Schutz von
Risikogruppen gebraucht werden. Die ganze Bürgerschaft wurde von den verfügten
Einschränkungen in der Lebensführung unvorbereitet getroffen, städtische
Milieus rebellieren. Dass bei dieser hinlänglich bekannten Ausgangslage
Bundesregierung und Landesregierungen unverantwortlich lange auf Einsicht und
Freiwilligkeit gesetzt haben, um sich an umgehend gebotenen Einschränkungen
bürgerlicher Freiheiten vorbei zu mogeln, ist Teil des Sachstandes.
Was sagt das nun über
das Funktionieren und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aus und welche
Schlüsse können aus diesem Sachverhalt gezogen werden? Einige Ursachen für
dieses desaströse Verhalten der Gemeinschaft gegenüber werden unserer
Geschichte zugeschrieben.
Individuelle
Freiheitsrechte versus Rechte der Gemeinschaft
Die Freiheitsrechte
bilden neben den Gleichheits-, den Verfahrens- und Teilhaberechten eine eigene Kategorie der Grundrechte. Ein
souveräner Staat muss auf seinem Staatsgebiet die Staatsgewalt über sein
Staatsvolk ausüben. Diese Macht des Staates steht in einem prinzipiellen
Gegensatz zur Freiheit des Einzelnen. Zur
Verhinderung staatlicher Allmacht werden in freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten daher die Eingriffsrechte des Staates
begrenzt und den Menschen Individualrechte eingeräumt. Soweit so gut. Die Frage
steht dabei ständig im Raum, inwieweit eine Balance gelingt zwischen der
Staatsgewalt und dem Individuum, zwischen den Rechten der Gemeinschaft, die
notwendig sind, damit diese halbwegs funktionieren kann und dem Freiraum des
Einzelnen. Dieser soll sich individuell soweit entfalten können, bis die Rechte
anderer tangiert werden. Diese Balance scheint bei uns aus dem Gleichgewicht
geraten zu sein. Den Individualrechten in unserer Gesellschaft wurde im Laufe
der Zeit eine immer höhere Priorität zuerkannt, der Gemeinsinn ging bei zu
Vielen verloren. Zu den fragwürdigen Hinterlassenschaften der 68er zählt
zweifellos, dass staatliche Durchgriffsrechte beschnitten wurden zugunsten von
Toleranz, Freiheit, Vielfalt, Gleichheit und Weltoffenheit. Eine der
Begründungen dafür waren die Erfahrungen mit der Nazidiktatur, in der der
Einzelne nichts galt und den Rechten der Volksgemeinschaft absoluter Vorrang
eingeräumt wurde. Von einem Extrem ins andere könnte man sagen.
Bevor
jedenfalls in unserem Lande die individuellen Rechte beschnitten und der
Gemeinschaft, um nicht zusagen der Staatsgewalt, mehr Möglichkeiten eingeräumt
werden, muss schon einiges passieren. An dieser Stelle sind wir nun im Zuge der
Corona-Pandemie angelangt. Staatliche Instanzen beschneiden inzwischen rigoros
die Bürgerrechte auf freie Gestaltung des Tagesablaufes, der Bewegungsfreiheit
wie auch von Sozialkontakten. Zur Eindämmung des Virus wird dies nun
erforderlich sein, ganze Bevölkerungsschichten vornehmlich in den großen
Städten verweigerten sich aber dieser Einsicht. Die Folge ist eine generelle,
von Polizei und Ordnungsdiensten überwachte Ausgangsbeschränkung. Das
beispiellose Herunterfahren nahezu aller wirtschaftlichen Aktivitäten wird
gewaltige volkswirtschaftliche Einbußen mit sich bringen und alle treffen: die
bisher bereits alle Einschränkungen aus Einsicht mitgemacht haben, zum Glück
auch die Verweigerer.
Vollbremsung eines
ganzen Landes
Mit mehr Disziplin
wäre diese gesellschaftliche Vollbremsung zu vermeiden gewesen. Disziplin wird
allerdings in unserer pazifistisch geprägten Republik in die Nähe von Befehl
und Gehorsam gerückt. Dabei ist darunter keine Knechtschaft zu verstehen,
sondern die Selbststeuerungskompetenz aus Einsicht im Kontext unserer
Wertvorstellungen. Diszipliniertes Verhalten verlangt immerhin, sich Geboten, Verboten und
Anweisungen zu unterwerfen. Da liegt der Hase im Pfeffer. Dem Militär wird dies
nolens volens zugebilligt, für freie Bürger in einer überindividualisierten
Gesellschaft wird dies zum Teufelszeug. Militärische Einheiten funktionieren
ohne Disziplin und Gehorsam zweifellos nicht. Sogar Drill gehört dazu, um in Gefechtssituationen
auf automatisierte Abläufe zurückgreifen zu können, die für rasche und
einheitliche Reaktion unabdingbar sind. Die bürgerlichen Freiheitsrechte werden
dadurch aber nicht aufgehoben.
Am Rande: Über den
Erfolg im Leben entscheiden nicht allein Intelligenz oder
Durchsetzungsvermögen. Wichtiger sind oft unterschätzte, altbekannte
Eigenschaften wie Geduld und Disziplin. Charakterliche Merkmale, die es im
Sinne des Einzelnen wie auch der Gesellschaft zu fördern gilt. Nicht zuletzt
steht Disziplin in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Moral und Wohlbefinden.
Spaß- und
Null-Risiko-Gesellschaft in der Bredouille
Nun aber sind wir in eine Lage geraten, in der
diszipliniertes Verhalten mit Polizeigewalt durchgesetzt werden muss, dem
Bürger wird bis zu einem gewissen Grad Gehorsam gegenüber staatlichen Weisungen
abverlangt. Ein tolles Ergebnis des gemeinschaftswidrigen Verhaltens
egoistischer Toleranzprediger. Wenn es nur die Verweigerer träfe, könnte man
klammheimlich Freude darüber empfinden. Die eigentlich Leidtragenden der
Entwicklung aber sind die Älteren und Schwächeren in unserer Gesellschaft.
Und was lernen wir
daraus? Ohne eine minimale Disziplin der Staatsbürger gerät auch eine Spaß- und
Null-Risiko-Gesellschaft an den Rand des Scheiterns. In einer
Pandemie-Situation wird diszipliniertes Verhalten rasch zur Grundbedingung, um
Risiken zu begrenzen. Diese Erkenntnis verlangt nach Konsequenzen in der ganzen
Breite der Gesellschaft. Von den Elternhäusern über die Schulen bis zu den
Betrieben und nicht zuletzt auf allen politischen Ebenen. Asiatische Länder
sind uns diesbezüglich meilenweit voraus, es wird Zeit, daraus zu lernen und
der Gemeinschaft wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen im Vergleich zu
den Rechten des Individuums. Sonst fehlen uns Bürgern am Ende nicht nur das
Klopapier, sondern die gemeinschaftliche Kraft zur Bewältigung großer
Herausforderungen. Einsicht ist gefragt anstelle ideologischer Vorbehalte, die
Zukunft wartet nicht auf uns.
Der frühere
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat vor Jahren bereits die passenden
Worte gefunden: „In unserer Zeit besteht keine Gefahr eines Übermaßes an
Disziplin, Pflichtgefühl und Gemeinschaftsdienst. Heute herrscht weit eher ein
Mangel an der Fähigkeit, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sondern sich
zugunsten von anderen zurückzustellen.“
Wir haben kein
Erkenntnisproblem in unserer Gesellschaft, sondern die Aufgabe, endlich
gebotene Regelungen gegen den Widerstand einzelner Gruppen durchzusetzen. Die
Corona-Krise bietet die Chance dazu.
[1] Zu den
bürgerlichen oder auch Sekundärtugenden werden insbesondere Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit,
Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Höflichkeit, Sauberkeit
u. a. m. gezählt.
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/das-virus-offenbart-ein-grosses-manko-dieses-landes/?fbclid=IwAR0Xe8P5XoDhz9rvJfz1TLCmO8LfhwcG_sayAAXFFNqbRZm9IR7hZMPNjJI
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