Sonntag, 24. Januar 2021

Diffamierung von Wissenschaftlern - Gute Hetze, böse Hetze (CICERO)

Diffamierung von Wissenschaftlern - Gute Hetze, böse Hetze (CICERO)

VON ALEXANDER MARGUIER am 23. Januar 2021

In einem Gespräch mit dem „Spiegel“ lässt der Virologe und Regierungsberater Christian Drosten zu, dass zwei seiner Kollegen von den Interviewerinnen diffamiert werden. Der Fall zeigt allzu deutlich, mit welchen Bandagen inzwischen im Streit um die Deutungshoheit gekämpft wird.

Dass die Corona-Krise umso mehr Furor stiftet, je länger sie andauert, ist inzwischen Gewissheit. Das hat sich im Spätsommer bei so mancher Querdenker-Kundgebung gezeigt, und es manifestiert sich täglich, stündlich, minütlich auf den Kanälen von Social Media. Wer Hass sucht, wird im Internet genug davon finden. Allerdings nicht nur bei den sogenannten Covidioten, sondern auch im entgegengesetzten Lager. Also bei jenen, die möglichst lange, möglichst harte Lockdowns für die Lösung aller Probleme halten, sich dabei auf die reine Wissenschaft berufen (zumindest auf den ihnen genehmen Ausschnitt daraus) - und jede anderslautende Meinung, sei sie auch noch so vernünftig begründet, als Scharlatanerie abtun. Man könnte hier geradezu von einer Demagogie des Corona-Mainstreams sprechen.

Ein besonders hässliches Beispiel für Diffamierung in Corona-Zeiten ist in einem aktuellen Spiegel-Interview mit dem Berliner Regierungs-Virologen Christian Drosten nachzulesen. Drosten lässt bei dieser Gelegenheit zunächst die vergangenen Monate Revue passieren, spricht über die britische Virus-Mutation und malt ansonsten ein eher düsteres Bild der bevorstehenden Wochen und Monate (was selbstverständlich sein gutes Recht ist, wenn er aufgrund seiner Forschungsarbeit zu entsprechenden Erkenntnissen gelangt).

Anhimmelnder Ton

Frappierend ist allerdings schon in der ersten Hälfte dieses Gesprächs der geradezu anhimmelnd-unterwürfige Ton, den die beiden Spiegel-Journalistinnen Drosten gegenüber an den Tag legen. „Wie schaffen Sie es eigentlich, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen“, lautet etwa eine der Fragen, nachdem ihrem Gegenüber offenbar kurz der Faden gerissen war - was im Interview einigermaßen dramatisch mit der Regieanweisung „hält inne, pausiert“ deutlich gemacht wird. Ob solcherlei Regungen auch in Interviews mit weniger bewunderten Gesprächspartnern ausdrücklich festgehalten würden, darf bezweifelt werden. Aber lassen wir das.

Den absoluten Tiefpunkt des Gesprächs erreichen die beiden Spiegel-Kolleginnen mit einer Frage, von der ich zuerst tatsächlich dachte, es handele sich um ein Fake. Aber was ich zunächst nur als einen Ausschnitt mitbekommen hatte, steht so tatsächlich wortwörtlich im Spiegel: „Einen größeren Schaden als Corona-Leugner haben im vergangenen Jahr wohl Experten angerichtet, die immer wieder gegen wissenschaftlich begründete Maßnahmen argumentiert haben, zum Beispiel Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck.“ 

Damit, wie gesagt, wird die Frage eingeläutet, wann Drosten angesichts solcher Unpersonen der Kragen platze. Nur für alle, die es noch nicht mitbekommen haben sollten: Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn (und in dieser Funktion Drostens Nachfolger). Schmidt-Chanasit wiederum ist Professor für Virologie am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Fachmann für neu auftretende Infektionskrankheiten. Das also sind die zwei namentlich als abschreckende Beispiele genannten Scharlatane, wegen denen Drosten der Kragen platzen müsste. Zumindest wenn es nach dem Spiegel geht.

Die Namen stehen im Raum

Eigentlich hätte Christian Drosten an dieser Stelle das Interview abbrechen müssen. Denn wer solche Fragen stellt, ist eindeutig nicht an Erkenntnisgewinn interessiert, sondern lediglich an professoraler Affirmation. Stattdessen lautet seine Antwort: „Wollen Sie, dass ich jetzt Kollegen namentlich kritisiere? Ich halte nichts davon, ad personam zu gehen.“ Doch da stehen die beiden Namen ja bereits im Raum. Und Drosten macht nicht die geringsten Anstalten, seine beiden Kollegen gegenüber den Spiegel-Journalistinnen (und somit gegenüber einer großen Öffentlichkeit) vom Vorwurf der Unseriosität zu verteidigen. Im Gegenteil: Was folgt, ist ein längeres Lamento über „Gegenmeinungen“, die „nicht auf Fakten beruhen“ sowie über unfaire Attacken beim Kampf um die Deutungshoheit in Sachen Corona.

Der Subtext ist völlig klar: Drosten lässt die als Frage getarnte Diffamierung von Streeck und Schmidt-Chanasit nicht nur unwidersprochen durchgehen, er bestätigt sie auch noch implizit.

Wenn wir es mit Sportjournalismus zu tun hätten, könnte man solch ein Interview vielleicht noch als folkloristische Verirrung zweier Reporterinnen abtun, die ihren Beruf nicht von der Leidenschaft für einen bestimmten Fußballspieler trennen können. Aber hier geht es eben nicht um ambitioniertes Freizeitvergnügen, sondern um die Rolle von Wissenschaft inmitten einer Pandemie. Und zwar einer Pandemie, in der einzelnen Fachleuten wie Christian Drosten, an dessen Expertise gewiss kein Zweifel herrscht, keinesfalls die alleinige Deutungshoheit überlassen werden sollte.

Vertrauensverlust wegen Einseitigkeit

Dass insbesondere die Bundeskanzlerin es vermocht hat, durch ihre Fixiertheit auf den Charité-Virologen den Eindruck zu erwecken, die Regierung werde einseitig beraten, hat übrigens zu dem enormen Vertrauensverlust beigetragen, der derzeit im Land fast heftiger wütet als das Virus. Und dass der Spiegel sich auch noch mit devoten Suggestiv-Fragen vor diesen Karren spannen lässt und sich dabei wie ein staatstreues DDR-Medium anhört, verschlimmert die ganze Sache umso mehr.

Wer derart eindeutig und geradezu heimtückisch Partei ergreift, rechnet offenbar nicht einmal ansatzweise damit, dass sich halbwegs kritische Leser für dumm verkauft fühlen könnten. Zu groß ist die Selbstgewissheit hinsichtlich des eigenen Mediums, der eigenen Meinung, der eigenen (und nicht zu hinterfragenden) Präferenz für bestimmte Experten. So ruiniert man den Ruf einer ganzen Branche. Es sollte niemand behaupten, Kampagnen-Journalismus sei dem Boulevard vorbehalten.

Hendrik Streeck, der vermeintliche Scharlatan, äußert sich an diesem Samstag übrigens in einem Interview mit der FAZ ebenfalls zur aktuellen Corona-Lage. Dass weder er noch der ihn befragende Journalist die geradezu frivole Selbstgefälligkeit Drostens und seiner beiden Hagiographinnen vom Spiegel an den Tag legen, ist nicht nur dem Sujet angemessen, sondern regelrecht wohltuend. Ein Satz Streecks aus diesem lesenswerten Gespräch sei hier aber besonders hervorgehoben. Seine Feststellung nämlich, dass „im Moment etwas in Schieflage geraten“ sei in der öffentlichen Pandemie-Debatte, weil bei den Argumenten „zwischen ,gut und richtig’ und ,böse und falsch’ unterschieden wird“.

Wer aus Sicht ausgerechnet sogenannter Wissenschaftsjournalistinnen vom Spiegel die Rolle des Bösewichts innehat, dürfte inzwischen klar sein. Seriös ist das nicht. Sondern eher Hetze.

Freitag, 22. Januar 2021

Probleme bei der Impfstoff-Logistik - „Das ist ein Wahnsinn“

Probleme bei der Impfstoff-Logistik - „Das ist ein Wahnsinn“

Die Probleme bei der Impfstoff-Logistik verhindern einen schnelleren Fortschritt beim Bekämpfen der Corona-Pandemie. Gerd Kerkhoff gilt als Pionier in Sachen Einkaufsberatung und geht hart mit der Bundesregierung ins Gericht. Ihn ärgert, dass es keine Konsequenzen aus dem Versagen gibt.

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Kühlkette im Kampf um Leben und Tod: Zu viele Fehler / dpa


Gerd Kerkhoff ist Geschäftsführer des Beraterunternehmens Kerkhoff Group und gilt als ein Pionier der Einkaufsberatung in Deutschland.


Herr Kerkhoff, Sie beraten mit Ihrer Firma Unternehmen bei der Logistik, also bei der Beschaffung von Produkten und dem Lieferketten-Management. Wie beurteilen Sie die Leistung der Bundesregierung auf diesem Gebiet in Sachen Corona-Impfstoff?

Mit einer glatten Sechs.

Warum so harsch?

Man muss den Einkauf des Impfstoffes als einen ganz normalen Beschaffungsprozess betrachten. Ob ein Autohersteller neue Schlösser braucht oder eine Regierung Impfstoff, unterscheidet sich im Prinzip nicht. Nur ist es in diesem Fall der bedeutendste Beschaffungsprozess, den die deutsche Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg durchführen musste. Da geht es einerseits um Leben und Tod. Und andererseits darum, ein finanzielles Desaster zu verhindern, weil der Lockdown pro Monat zehn Milliarden Euro kostet.

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Gerd Kerkhoff

Und da hätte man anders priorisieren müssen?

Genau. Bei der Beschaffung ist es das Ziel, die richtige Menge eines Produkts zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen zu einem respektablen Preis. Das lernt man im ersten Semester BWL. Nur hat die Politik, und damit meine ich Deutschland und Europa, offenbar nicht verstanden, dass es auf der Lieferantenseite eine spezielle Marktsituation gibt. Wenn es da einen Monopolisten gibt, dann bekommt der Preis eine völlig untergeordnete Rolle. Dann geht es nur noch um Verfügbarkeit. Man hätte also bei allen Herstellern, die offenbar in der Lage wären, einen Impfstoff herzustellen, sofort die Menge bestellen müssen, die für Deutschland benötigt wird. Man würde ja, wenn man dann zu viel haben sollte, nicht darauf sitzen bleiben. Deutschland hätte um den Preis gar nicht verhandeln sollen, sondern ihn erhöhen, etwa in dem man sagt: Auf alle Dezember-Lieferungen zahlen wir 100 Prozent Aufschlag, auf alle Januar-Lieferungen 50 Prozent. Damit wäre man der attraktivste Abnehmer für ein Unternehmen wie Pfizer, das ja auch zwei Milliarden Euro in die Impfstoff-Entwicklung investiert hat.

Immerhin hat der deutsche Steuerzahler Biontech, den Partner von Pfizer, auch mit erheblichen Summen unterstützt.

Ja, aber da kommen wir gleich zum nächsten Priorisierungsproblem. Das Zuwendungsgesetz schließt einen Vorteil für Deutschland aus, weil die Entwicklung aus Deutschland stammt. Und das Vergaberecht hätte so ein Vorgehen wie beschrieben auch nicht ermöglicht. Nur frage ich mich dann: Für den Lockdown schränken wir Grundrechte ein, aber bei der Beschaffung des Impfstoffs, der den Lockdown verkürzen kann, ist die Politik nicht bereit, in die Gesetze einzugreifen? Das ist intellektuell nicht mehr zu verstehen. Zumal wir auch keine Impfzentren bräuchten und keine Teiltriage, indem bestimmte Gruppen zuerst dran sind, wenn wir jetzt 60 Millionen Impfdosen hätten.

Aber auch bei den Impfdosen, die da sind, gibt es offenbar Probleme bei der Verteilung. Was läuft da schief?

Dass die Lieferkette nicht hinzukriegen ist bei diesen homöopathischen Dosen, das ist ein Wahnsinn. Zumal es nur darum geht, einen Impfstoff aus Belgien durch die Republik zu schicken. Um die Prozesse zu optimieren, könnte man mit spieltheoretischen Ansätzen verschiedene Szenarien modellieren. So würden wir als Berater vorgehen.

Aber das Problem ist doch, dass Pfizer die Produktion umgestellt hat und deswegen zunächst weniger Impfstoff produziert.

Um das genau beurteilen zu können, müsste ich die Verträge kennen. Aber selbst EU-Abgeordnete bekommen nur geschwärzte Verträge zu sehen. Auch bei diesen kleinen Mengen müsste man aber versuchen, so viel wie möglich zu bekommen. Man könnte da Anreize schaffen, etwa indem man Pfizer zusagt, auch bei anderen Mitteln, etwa bei Grippe-Impfstoffen, eine bestimmte Menge abzunehmen. Und natürlich über den Preis. Nochmal: Die Kosten dürften da eigentlich keine große Rolle spielen. Jede Woche, in der zu wenig Impfstoff da ist, kostet Milliarden von Euro und 7000 Tote.  

Nun hatten wir auch im vergangenen Frühjahr schon ein Logistik-Problem, und zwar bei den Masken. Kann Deutschland keine Logistik mehr?

Offenbar sind Politiker nicht gut in der Ausführung von Entscheidungen. Bei fast jedem größeren Beschaffungsprojekt der Politik gab es einen Skandal. Bei den Masken hat man sich, nachdem man viel zu lange mit der Massenbeschaffung gewartet hatte, für ein Open-House-Verfahren entschieden. Das heißt, man macht ein Angebot mit nicht verhandelbaren Bedingungen, und wer sich darauf einlässt, bekommt den Zuschlag. Darauf haben sich dann mehr als 700 Händler eingelassen, gut die Hälfte davon hat dann auch geliefert. Viele wurden aber bis heute nicht bezahlt. Die Masken liegen jetzt irgendwo in Deutschland rum, und um das ganze Chaos in den Griff zu bekommen, hat man noch einmal für viel Geld einen externen Dienstleister beauftragt. Das ist doch ein Tollhaus!

Das heißt, das Bundesgesundheitsministerium hätte sich vorher Rat aus der Wirtschaft holen müssen?

Das Ministerium hat ja mit der Beschaffung von Ausrüstung, und dann auch noch in dieser Dimension, gar keine Erfahrung. Ihm ist auch kein Beschaffungsamt unterstellt. Offenbar ist aber der Einkauf etwas, was sich jeder zutraut, nach dem Motto: Das kennt man ja aus dem Alltag, das kann nicht so schwer sein. Tatsächlich aber ist es eine hochkomplexe Angelegenheit mit zahlreichen Unwägbarkeiten, die man umschiffen muss. Was mich aber auch ärgert ist, dass es gar keine Konsequenzen aus dem Versagen gibt. Ein Unternehmen, das so agieren würde, wäre schon längst weg vom Fenster. Manager, die Fehler machen, landen vor Gericht, siehe Martin Winterkorn und Rupert Stadler. Die Politiker aber machen fröhlich weiter und schützen sich gegenseitig. Dabei geht es um Leben und Tod und, wegen der enormen Schuldenanhäufung, um die Zukunft unserer Kinder.

Mittwoch, 6. Januar 2021

Wagenburg um´s Kanzleramt

 Ein kluger Aufsatz aus der „WELT“.

Von Andreas Rosenfelder:

Teile des deutschen Journalismus haben in der Corona-Krise eine Wagenburg ums Kanzleramt gebildet. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Stategie der Regierung zu verteidigen, und richten ihre Kritik stattdessen auf die „unvernünftigen“ Bürger.

Was ist der Job eines Journalisten? Die kürzeste und einfachste Antwort lautet: Aufklärung. Dazu gehören, seit die freie Presse im 18. Jahrhundert entstand, die genaue Beobachtung der Verhältnisse, das Formulieren von Kritik und das Aufdecken von Skandalen.

All das tun Journalisten auch heute noch – fragt sich nur, worauf sie ihre Energie richten. Verfolgt man die mediale Diskussion über die Versäumnisse der Bundesregierung bei der Organisation des Corona-Impfstoffs, so kann man den Eindruck bekommen, nicht die Politik, sondern die Kritik an dieser Politik sei der eigentliche Skandal.

Reihenweise warfen sich Medienvertreter in die Bresche, um die Verantwortlichen in Schutz zu nehmen vor den Vorwürfen, die der „Spiegel“ mit einer spektakulären Recherche über „Das Impfstoffdrama“ in Gang gesetzt hatte – ein Drama, das nicht nur das Leben der vom Virus bedrohten Menschen gefährdet, sondern auch den unzumutbaren Zustand des Lockdowns verlängert.

„Nicht alles ist optimal gelaufen, aber die Alternativen waren schlechter“, so schrieb der ZDF-Korrespondent Stefan Leifert auf Twitter und belehrte die Kritiker der Bundesregierung in einer Staffel von zehn Tweets darüber, dass sie falsch liegen. Die ARD-Moderatorin Anne Will kommentierte Leiferts Beitrag mit dem Emoji für Applaus, und Birthe Sönnichsen, Redakteurin im ARD-Hauptstadtstudio, übersetzte das Ganze noch einmal in die Sprache einer journalistischen Sonderpädagogin: „Bitte lesen. Bitte abregen. Bitte froh sein, dass sich Deutschland für den europäischen Weg entschieden hat. Bitte Liefermengen klar kommunizieren. Bitte jetzt die Organisation in den Bundesländern perfektionieren. Bitte nicht mehr blame game spielen.“

Bloß keine Schuldzuweisungsspiele! Vermutlich hätte die junge Kollegin das auch gesagt, wenn sie 1962 gelebt und den legendären „Spiegel“-Titel „Bedingt abwehrbereit“ in die Finger bekommen hätte, immerhin warf das Magazin der Bundesregierung damals Versagen beim Schutz der Bevölkerung vor einem russischen Atomschlag vor. „Blame Game“ – so nennen öffentlich-rechtliche Journalisten heute die Kritik an jenen, die politisch Verantwortung tragen und die, das nur nebenbei, selbst keinerlei Skrupel haben, Glühwein trinkende Bürger für das Scheitern ihrer Corona-Strategie verantwortlich zu machen – so tat es Jens Spahn im Dezember, beklatscht von der Journalistenblase. Uns Spahn?

Einer der Hauptverantwortlichen.

Kein Wunder, dass er – als Bundesgesundheitsminister mitverantwortlich für das Impfdesaster – den Tweet des ZDF-Manns teilte und dass auch Armin Laschet, der in Nordrhein-Westfalen einen suboptimalen Impfstart zu verantworten hat, ihn weiterempfahl und mit einer Kritik an „nachträglicher Besserwisserei und parteipolitischem Kleinklein“ verband.

Man muss sich dieses Szenario noch einmal modellhaft vergegenwärtigen, um es in seiner schockierenden Drastik zu erkennen: Da gibt es Journalisten, die durch eine Recherche aufdecken, dass in einem für jeden Bürger dieses Landes folgenreichen Ablauf schwere Fehler gemacht wurden – und dann kommen andere Journalisten, die ihre Aufgabe darin sehen, diese Fehler herunterzuspielen, die Alternativlosigkeit einer Strategie, bei der „nicht alles optimal“ war, nachzuweisen („die Alternativen waren schlechter“) und sich gegenseitig mit kindischen Klatsch-Emojis und digitalen Bitte-bitte-Appellen noch in ihrer PR-Kampagne für die Bundesregierung zu unterstützen.

Die einen decken etwas auf, die anderen schütten es wieder zu. Wissen sie nicht, dass das selbst dann nicht ihre journalistische Aufgabe wäre, wenn die Bundesregierung in der Krisenpolitik – und es gibt wenig Anlass, das anzunehmen – wirklich alles richtig gemacht hätte? Merken sie nicht, wie sie beim verzweifelten Versuch, das aus Gründen angeknackste Vertrauen in die Politik zu retten, das Vertrauen in den Journalismus nachhaltig beschädigen? Ist ihnen nicht bewusst, dass sie dabei ein Meinungskonglomerat aus Politik und Medien erzeugen, das jeden Kritiker der „Systemmedien“ in seinen krudesten Fantasien bestätigt?

Eine Wagenburg um das Kanzleramt

Der Umgang vieler Journalisten mit den Versäumnissen beim Impfen steht exemplarisch für die Rolle der Medien in der Corona-Krise: Noch nie zuvor, auch in der Flüchtlingskrise nicht, hat sich die deutsche Medienlandschaft so dicht um das Bundeskanzleramt geschart – diesmal allerdings nicht, um es gnadenlos zu belagern, so, wie es die 2001 in Herlinde Koelbls gleichnamigem Dokumentarfilm verewigte „Meute“ der Hauptstadtjournalisten tat, sondern im Gegenteil – als schützende Wagenburg.

Die Hauptstadtmedien schirmten die Corona-Politik der Bundesregierung gegen Angriffe von Dritten ab, sie stellten die ausgegebenen Marschrouten in Form von Leitartikeln an ihre Leser durch und richteten ihre brachliegende kritische Energie einfach auf die „unvernünftigen“ Bürger, die regelmäßig dafür gegeißelt wurden, sich nicht so zu verhalten, wie sich das die Corona-Strategen und ihre medialen Dolmetscher wünschten.

Dort unten, an den Subjekten des Regierungshandelns, konnte sich der „kritische“ Journalismus dann doch noch austoben, da wurde von den Medien ein „Skandal“ nach dem anderen aufgedeckt – ob es nun die feiernden Jugendlichen im Park waren, die Urlaubsreisenden im Sommer und Herbst, die gestressten Last-Minute-Weihnachtseinkäufer oder jetzt eben die Familien, die sich einen Hang zum Schlittenfahren suchen.

Politische Fragen, die in einer so fundamentalen Krise auf der Hand liegen und sich gerade dann aufdrängen, wenn man die Gefahr durch Corona ernst nimmt, blieben liegen oder wurden spät und pflichtschuldig abgehandelt: Texte, die die Effektivität der Lockdown-Strategie bei der Bekämpfung der Pandemie kritisch untersuchen, waren lange eine Rarität, und der Gedanke, dass der Schutz der Risikogruppen eine wichtige Ergänzung zur Reduzierung aller Kontakte, ja vielleicht sogar eine Alternative dazu sein könnte, kam im medialen Mainstream erst an, als der zweite Lockdown längst beschlossen war und das Sterben in den Altersheimen dennoch weiter zunahm.

Das mediale Interesse an Ländern, die auf den Lockdown verzichten, ist immer nur dann groß, wenn man dort den totalen Zusammenbruch prognostizieren kann – wenn er ausbleibt, wie derzeit in der Schweiz, lässt die Aufmerksamkeit nach, obgleich doch dort wie in einem Labor zu beobachten wäre, ob die Stilllegung der gesamten Gesellschaft wirklich so alternativlos ist.

Durch ergebnisoffene Neugier, durch prinzipielles Misstrauen und Widerspruchsgeist – alles alte Tugenden des Journalismus – zeichnet sich die Medienlandschaft im von der Krise gelähmten Deutschland nicht aus, und das gilt nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ etwa war im letzten Jahr staatstragender unterwegs als zu Zeiten Helmut Kohls.

Im Leitartikel der Silvesterausgabe bat Jasper von Altenbockum den Staat stellvertretend für die Bürger um „Verzeihung“ für die „vielen bewussten oder unbewussten Regelbrüche, die das Virus nicht verzeiht“. Die Corona-Politik sei in der Krise „nicht an die Grenzen des Staates, sondern an die der Gesellschaft gestoßen“ – soll heißen: Da wäre noch viel mehr drin gewesen an staatlichem Übergriff, wenn die Leute nur nicht so schlecht mitgespielt hätten.

Auf der Medienseite derselben Zeitung hatte Michael Hanfeld den deutschen Journalismus kurz vorher so arrogant und pauschal gegen jedwede Kritik verteidigt, dass man sich spätestens nach der Lektüre dieses Artikels fragen musste, ob nicht doch etwas an den Vorwürfen dran ist. „Zu viel Regierungsverlautbarung, zu viel Jens Spahn, zu viel Karl Lauterbach, zu wenig eigene, kritische Ansätze, zu wenig über andere Länder, zu wenig über divergierende wissenschaftliche Ansätze“: So fasste Hanfeld die relativ objektive Lagebeschreibung des Dortmunder Kommunikationswissenschaftlers Claus Eurich zusammen, der im Frühjahr ein „Systemversagen des Journalismus“ diagnostizierte – was Hanfeld dann aber als „Bild-Manier“ abkanzelte und brav mit einem Sinnspruch seines Herausgebers Werner D’Inka vom Tisch fegte: „Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet.“

Ja, so muss es wohl sein: Der Leser ist schuld, wenn er die filigran im Programm versteckte Kritik nicht erkennt. Die hat es tatsächlich in allen deutschen Zeitungen gegeben, sogar in der „Süddeutschen“, die doch keine Gelegenheit ausließ, die Dogmen der deutschen Corona-Politik in ihrer Sinnhaftigkeit zu erläutern (unvergesslich: „Der Lockdown ist gut für die Wirtschaft“).

Doch die fragenden Stimmen verhallten in jener großen Kathedrale der Angst, die in der Krise von Politik und Medien gemeinsam errichtet wurde – und die der Kritik schon dadurch den Status der Häresie zuwies, dass die Kritiker der Maßnahmen in einer grotesken Täter-Opfer-Umkehr immer wieder für das Übel der Pandemie verantwortlich gemacht wurden.

Schon die Wörter „Kritik“, „Kritiker“ und „Skeptiker“ wurden in der Krise mit negativem Beiklang aufgeladen. Dass der Journalismus mit dieser Umwertung der aufklärerischen Werte seinen eigenen Wesenskern beschädigt, kann man daran sehen, dass immer mehr Leser ins Dunkelfeld der „alternativen“ Medien abwandern, um sich jene Perspektiven, die ihnen der Mainstream als vernünftige Option verweigert, in angeschärfter Form bei „Tichys Einblick“ oder „Reitschuster“, „Epoch Times“ oder „KenFM“ abzuholen.

Die Verlorenen

Dieses aufgegebene Publikum, das oft ein liberales und urdemokratisches Weltbild mitbringt, die liberale Demokratie in der Krise aber nicht mehr wiedererkennt, wird nicht einfach zurückkommen, wenn die Impfung läuft. Es bleibt für unser politisches und mediales „System“, das in seiner Einzigartigkeit unbedingt schützens- und bewahrenswert ist, auf Dauer verloren.

Aber wie konnte es dazu kommen, dass ein Virus dem Journalismus die Vielfalt, die kritische Energie austreibt? Die Antwort lautet wie immer in der Pandemie: Das Coronavirus dockt nur an vorhandene Strukturen an, es beschleunigt Prozesse, die längst im Gang sind. Dieser begann schon mit der Flüchtlingskrise, mit den Demonstrationen von Pegida und dem Bundestagseinzug der AfD.

Der Journalismus hat auf den Boom des Populismus, der auch ein Frontalangriff auf die als „Lügenpresse“ verteufelten Medien war, in weiten Teilen falsch reagiert: Im Bemühen, die pauschale Medienkritik zu widerlegen, glichen sich die Medien jenem Zerrbild an, das die Demagogen von ihnen zeichnen. Statt den richtigen Impuls aufzunehmen, den auch die falscheste Kritik für den klugen Interpreten bereithält, stellten sie sich verteidigend vor die politischen Eliten, als deren Verbündete sie vom Mob auf der Straße angesprochen wurden – und verhielten sich so, als träfe der Vorwurf zu.

Wer keine Populisten will, muss die Probleme lösen

Statt sich jenen blinden Flecken staatlichen Handelns zuzuwenden, deren mediale Vernachlässigung die „Frustrierten“ und „Abgehängten“ in die Fundamentalopposition treibt, glaubten die Medien, sie könnten den Populismus wieder zum Verschwinden bringen, indem sie seine Vertreter und seine Anhänger nur lange genug ins Sperrfeuer ihrer Kritik nehmen und deren Überzeugungen in immer neuen Anläufen als falsch darstellen.

Das hat in der Flüchtlingskrise nicht funktioniert, und man darf skeptisch sein, ob es in der Corona-Krise hilft. Wenn Politik und Medien so eng zusammenstehen wie am Ende dieser fast schon ewigen großen Koalition, können sie sich zwar gegenseitig bei Twitter auf die Schultern klopfen – doch der gemeinsame Grund der Gesellschaft wird allmählich schmaler, und irgendwann bricht der Boden unter den Füßen weg.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler mag Angela Merkel im „Tagesspiegel“ im Stil eines wilhelminischen Hofhistorikers schon jetzt bescheinigen, dass „von ihr eine ganze Menge bleiben“ wird, Anne Wills Talkshow mag sich als Tribunal verstehen, das Kritiker von Merkels Corona-Strategie mit freundlicher Unterstützung von Annalena Baerbock und Karl Lauterbach aburteilt.

Aber einen Gefallen tut der Kanzlerin damit weder der eine noch die andere. Unser System – das ist die von den Populisten verkannte Wahrheit – basiert nämlich seit der Aufklärung auf dem kritischen Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit. Eine Symbiose zerstört es.