Samstag, 6. August 2022

Kulturkampf ums Geschlecht

Kulturkampf ums Geschlecht
Die Ampelregierung will sexuellen Minderheiten das Leben erleichtern. Kritiker fürchten die gesamtgesell­schaftlichen Folgen.

Von Ben Krischke

Just an jenem Tag, an dem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ihre „Eckpunkte“ für das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz in Berlin vorstellen, findet drei Kilometer südwestlich vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt eine Demonstration statt. Eine kleine Gruppe Aktivisten hat sich Ende Juni vor der norwegischen Botschaft versammelt. Anlass ist eine strafrechtliche Ermittlung in Norwegen, die für Außenstehende wie Satire klingen mag. Für Christina Ellingsen aber könnte sie bald schon bitterer Ernst werden.

Die Norwegerin ist Mitgründerin des Frauenrechtsnetzwerks „Women’s Declaration International“ (WDI) und hat eventuell gegen ein seit dem Jahr 2020 geltendes Gesetz verstoßen. Dieses stellt „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsidentität“, wie es darin heißt, unter besonderen Schutz. Ellingsens mögliches Vergehen: Sie hat öffentlich behauptet, dass Männer keine Lesben seien – und wurde dafür von einem transidenten Mann, der sich als Lesbe identifiziert, angezeigt. Sollte es zu einer Anklage kommen, drohen ihr in Norwegen bis zu drei Jahre Haft.

Antje Galuschka gehört zu den Organisatoren des Protests vor der norwegischen Botschaft. Eine Biologin und Mutter, die früher nie aktivistisch gewesen sei, wie sie im Gespräch erzählt. In den vergangenen zwei, drei Jahren aber hat sich etwas geändert. Galuschka ist laut geworden. Vor allem in den sozialen Medien. Doch ihr und ihren Mitstreitern, darunter vor allem Frauen, reicht das nicht. Die Demonstration in Berlin soll der Auftakt für weitere Proteste in anderen Städten des Landes sein. Galuschka sagt: „Wir wollen darauf aufmerksam machen, was künftig auch in Deutschland passieren könnte, wenn eine Frau sagt: ,Nein, das ist ein Mann, keine Frau.‘ Deswegen gehen wir auf die Straße.“

Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hat sich einem identitätspolitischen, also einem auf Minderheiten ausgerichteten Kurs verschrieben, der bei der Geschlechterfrage gewisse Parallelen zu Norwegen aufweist. Dort wurde im Jahr 2016 ein Selbstbestimmungsgesetz und vier Jahre später dann eines gegen „Hassrede“ verabschiedet. Im ersten Schritt, so sieht es das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelregierung für Deutschland vor, sollen Erwachsene künftig via Sprechakt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Bei Minderjährigen soll die Zustimmung der Eltern reichen. Im Gegenzug soll das derzeit geltende Transsexuellengesetz gestrichen werden. Dieses sieht für die Änderung des Geschlechtseintrags gewisse Hürden vor, etwa psychologische Gutachten. Hürden, die von Betroffenen und Beteiligten als herabwürdigend und nicht mehr zeitgemäß beschrieben werden.

Was nach radikal-liberaler Gesellschaftspolitik klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Ausdruck einer konsequenten Weigerung, biologische Tatsachen anzuerkennen. Es ist ein entscheidender Schritt in ein postfaktisches Geschlechtersystem, in dem Begriffe wie Mann und Frau nur noch relativ wären. Bedenken indes werden von Verfechtern des Selbstbestimmungsgesetzes beiseitegeschoben und als „reaktionär“, „transphob“ oder einfach nur „rechts“ markiert. Biologin Galuschka, die Mitglied der Grünen ist, formuliert es so: „Wir versuchen, die Debatte zu führen, doch die andere Seite will sie verhindern.“

Die andere Seite, das sind große Teile der Ampelparteien, unterstützt von der Linken, Queeraktivisten und Transverbänden, die in den vergangenen Jahren stark an Einfluss gewonnen haben. In der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien, auch in den Schulen. An letztere werden immer öfter Broschüren verteilt, die dazu raten, auf Kinder und Jugendliche, die das Gefühl haben, im falschen Körper geboren zu sein, ausschließlich bestätigend und transaffirmativ zu reagieren.
Im Prinzip geht es also darum, Grundlagenarbeit zu leisten, um den Weg freier zu machen für Pubertätsblocker, die Geschlechtsmerkmale wie Brüste und Hoden in ihrer Ausbildung bremsen. Später dann sollen auch Cross-Sex-Hormone, also Testosteron und Östrogene, eingenommen werden. Am Ende steht eine körperliche Transition ab Volljährigkeit, womit die operative Geschlechtsangleichung gemeint ist – wobei zur Wahrheit auch gehört, dass ein Mann nie ganz zur Frau und eine Frau nie ganz zum Mann werden kann. All das ist im Prinzip bereits heute möglich, aber eben nur unter strengen Auflagen.
An vorderster Front kämpft der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). Als Galuschka und vier weitere Autoren einen Gastbeitrag in der zum Axel-Springer-Verlag gehörenden Tageszeitung Die Welt veröffentlichten, in dem sie eine transaffirmative Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beklagten, weil dort zu positiv über Transsexualität berichtet werde, meldete sich Lehmann ebenfalls in der Welt zu Wort. Er schreibt: „Das Pamphlet trieft vor Homo- und Transfeindlichkeit, ist wissenschaftlich nicht fundiert und arbeitet mit Fake News.“ Und weiter: „Die Autor*innen sprechen in ihrem Text von einer ,bestätigte(n) wissenschaftlichen Erkenntnis der Zweigeschlechtlichkeit‘. Spätestens hier kann man den Text eigentlich weglegen und als quasi-kreationistisches Erzeugnis ignorieren.“

Da die Aufregung um den Ausgangsbeitrag groß war, intern wie extern, sah sich Springer-Chef Mathias Döpfner bemüßigt, einen weiteren Meinungsbeitrag zu veröffentlichen. Diesmal von ihm selbst. In diesem lieferte er dem Queerbeauftragten Schützenhilfe: „Unser Haus steht für Vielfalt“, schrieb er darin. Und fügte hinzu: „Statt des freiheitlichen Geistes des ,jeder soll nach seiner Façon selig werden‘, raunt es hier vom Schutz der ,sittlichen Überzeugungen der Bevölkerung‘.“ Der Text habe „einen Sound, der für jeden freien toleranten Geist unangenehm ist“.

Nach Cicero-Informationen soll Döpfner seinen Beitrag nicht ganz freiwillig verfasst haben, sondern auf Druck amerikanischer Geschäftspartner. Die USA sind ein wichtiger Markt für den Springer-Verlag, und der angloamerikanische Raum ist eben die Quelle des woken Zeitgeists. Hier ist man auch deutlich weiter, wenn es etwa darum geht, mit welchen Interessengruppen man sich lieber nicht anlegen sollte, um halbwegs störungsfrei den eigenen Geschäften nachzugehen.

An vielen amerikanischen und britischen Universitäten gehört Wokeness längst zum guten Ton. Wer als Professor zu sehr ausschert, wird diffamiert und bedroht. Prominentes Beispiel ist das der Philosophin Kathleen Stock, die ihre Professur an der Universität Sussex nach jahrelangen Angriffen auf ihre Person niedergelegt hat. Anonyme Transaktivisten hatten ihr diskriminierende Aussagen vorgeworfen, weil Stock, laut eigener Aussage bekennende Feministin, öffentlich am binären Geschlechtersystem festhält. Eine Entwicklung, die auch in der Wirtschaft einschüchternd wirkt – und sich nicht zuletzt in immer mehr bunten Regenbogenkampagnen entlädt, um wenigstens in Sachen PR vom Zeitgeist zu profitieren.

Die Erwiderungen Lehmanns und Döpfners stehen gleichwohl exemplarisch für die Art und Weise, wie die Debatte ums gefühlte, respektive um das dritte Geschlecht geführt – oder besser: nicht geführt – wird. Der Ton ist rau, irgendein „Phobie“-­Vorwurf rasch bei der Hand – und obendrein geht im Streit einiges durcheinander. Menschen etwa, die das binäre Geschlechtersystem ablehnen, ziehen Intersexualität als Beleg dafür heran, dass es auf der Welt mehr als nur zwei Geschlechter gäbe: also mehr als „männlich“ und „weiblich“.

Intersexualität ist ein Überbegriff für genetische Störungen in der geschlechtlichen Entwicklung, die primäre oder sekundäre Geschlechtsmerkmale betreffen. Diese genetischen Defekte sind oft chromosomaler Natur, was bedeutet, dass ganze oder Teile von Chromosomen fehlen oder dupliziert sind. Es gibt aber auch Gendefekte, die auftreten, obwohl es keine chromosomalen Auffälligkeiten gibt. Varianzen haben dann oft auch Auswirkung auf den Körperbau, etwa auf das Vorhandensein von Eierstöcken oder Hoden.

Derlei genetische Störungen werden von Evolutionsbiologen aber nicht als eigenständige Geschlechter anerkannt, zumal sie überaus selten sind. Bei etwa 99,98 Prozent aller Menschen lässt sich das Geschlecht eindeutig zuordnen. Zudem können sich intersexuelle Menschen oft gar nicht fortpflanzen.

Die Bundesregierung indes will die biologische Perspektive allein nicht gelten lassen. Wie eine schriftliche Antwort auf eine Anfrage von Cicero an das Bundesfamilienministerium zeigt, beruft man sich dort unter anderem auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wo man vor vier Jahren zu dem Ergebnis gekommen war, dass sich Geschlecht nicht nur anhand biologischer Kategorien definieren lasse. Kritiker dieser Entscheidung bemängelten allerdings schon damals, dass diese weder empirisch haltbar noch logisch und schlüssig sei. Das Grundproblem in der Debatte aber scheint dieses: Wie „Geschlecht“ definiert wird, kommt auf die Perspektive an.

Trans- und Queeraktivisten berufen sich auf vergleichsweise neue wissenschaftliche Disziplinen wie Gender Studies, wonach es deutlich mehr als zwei Geschlechter gibt, weil dort auch Geschlechts­identitäten als Geschlechter zählen. In der Biologie jedoch, wo es nicht um Gefühle, sondern um Chromosomen und Keimzellen geht, ist die Definition eindeutig. Axel Meyer, Professor für Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz, formuliert es so: „Diese Aktivisten (die von mehr als zwei Geschlechtern sprechen; Anm. d. Red.) könnten genauso gut behaupten, die Erde sei eine Scheibe.“ Und weiter: „Es kann nicht sein, dass eine kleine, lautstarke und einflussreiche Minorität von Transaktivisten dem Land vorschreibt, wie wir zu reden und zu denken haben.“
Das konsequente Negieren des binären Geschlechtersystems, auch in Abgrenzung zur biologischen Definition von Mann und Frau, folgt gleichwohl einem Ansatz, der Trans- und Queeraktivisten in der Debatte zugutekommt: Ist in der Geschlechterfrage erst mal alles relativ, lässt sich leichter argumentieren, dass eine Transfrau eine Frau sei und ein Transmann ein Mann. Eine Überzeugung, die geradezu sakrosankt gestreut wird – und die zudem auch von der Bundesregierung offiziell geteilt wird.

In genannter Antwort des Bundesfamilienministeriums an Cicero heißt es: „Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wird.“ Als Beleg führt eine Sprecherin, neben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychologie an, wonach Geschlecht ein „mehrdimensionales Konstrukt“ sei.

Ob eine Transfrau deshalb gleich eine Frau ist und ein Transmann gleich ein Mann, wäre allerdings gesondert zu diskutieren, weil ein gefühltes Geschlecht eben etwas anderes ist als ein biologisches Geschlecht – und man zu dem Schluss kommen kann, dass Transsexualität ohne das binäre Geschlechtersystem nur bedingt funktioniert. Dann nämlich, wenn körperliche Merkmale nicht mehr ausschlaggebend für die Definition von „Geschlecht“ sein sollen. Aus dem Bundesfamilienministerium heißt es dennoch: „Dementsprechend ist eine Transfrau eine Frau.“ Biologin Galuschka sieht das anders. Sie sagt: „Ich habe das Gefühl, dass das Thema Intersexualität von Transaktivsten gerne als Einfallstor für die eigene Agenda genutzt wird.“

Transsexualität ist ein psychologisches Phänomen, das auf dem Gefühl beruht, im falschen Körper geboren zu sein. Psychologen unterscheiden zwischen einer Geschlechtsinkongruenz, dem Gefühl, und der Geschlechtsdysphorie, dem Leiden unter diesem Gefühl.

Wie sich Geschlechtsdysphorie (auch „Genderdysphorie“) äußert, weiß Bernd Ahrbeck. Er ist Professor für Psychologische Pädagogik an der International Psychoanalytic University Berlin und hat jüngst zusammen mit der Sozialwissenschaftlerin Marion Felder das Buch „Geboren im falschen Körper – Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ veröffentlicht: „Der Körper wird als nicht zur Person passend erlebt, als unangenehm, quälend, mitunter eklig“, so Ahrbeck. Dadurch entstünde die Fantasie, dass im Gegengeschlecht in irgendeiner Weise eine Erlösung stecke. Ahrbeck sagt aber auch: „Es ist ganz schwer zu unterscheiden, was vorübergehende Irritationen sind, etwa in der Pubertätszeit, und was wirklich ein genuines Missempfinden ist am eigenen Körper, das zu anhaltenden und subjektiv unerträglichen Zuständen führt.“ Heißt: Das Empfinden, im falschen Körper geboren zu sein, ist das eine. Etwas anderes ist die Frage, ob eine Person wirklich trans ist.

Seit eingen Jahren lässt sich allerdings eine Entwicklung beobachten, die die Feministinnen Alice Schwarzer und Chantal Louis in ihrem ebenfalls in diesem Jahr erschienenen Buch „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ auf die Formel „Trans ist Trend“ bringen: In der Tavistock-Klinik in Großbritannien zum Beispiel hat sich die Zahl der Kinder unter zehn Jahren, die eine Transgenderbehandlung suchen, in kürzester Zeit vervierfacht. In anderen Kliniken sind Steigerungsraten von bis zu 1500 Prozent für Menschen jeglichen Alters mit Geschlechtsdysphorie dokumentiert. Die Kliniken verdienen gut daran: In Deutschland belaufen sich die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation auf bis zu 15 000 Euro; in den USA können es sogar bis zu 30 000 Dollar sein.

Queeraktivisten und Transverbände führen den rapiden Anstieg der Eingriffe auf verbesserte Outing-Strukturen zurück. Die Gesellschaft sei im Umgang mit sexuellen Minderheiten sensibler geworden, zudem gebe es für die Behandlung und Begleitung von Menschen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden, mehr Anlaufstellen. In seinem „Leitfaden Trans* Gesundheit“ schreibt der Bundesverband Trans*: „Zunehmend rückt die gemeinsame Entscheidungsfindung in den Mittelpunkt, bei der sich die Patient_innen an wichtigen Gesundheitsentscheidungen beteiligen.“ Das Gefühl des Patienten hat gegenüber der Expertise des Mediziners also an Gewicht gewonnen.
Alexander Korte, Oberarzt an der Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Uniklinik München, reicht das nicht als Erklärung für den neuartigen Trend. „Ich würde eher von einem Zeitgeistphänomen sprechen“, so Korte, der seit 2004 Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie behandelt, im Interview mit der Berliner Tageszeitung taz. Und weiter: „Trans ist offensichtlich eine neuartige Identifikationsschablone, für die es einen gesellschaftlichen Empfangsraum gibt. Und das spricht in erster Linie eine vulnerable Gruppe von weiblichen Jugendlichen an.“ Ahrbeck und Felder würden da zustimmen.

Interessant ist in dem Zusammenhang eine Studie, auf die sich Kritiker des transaffirmativen Modells berufen, die von Transaktivisten wie Petra Weitzel, erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, aber als „bereits als unwissenschaftlich widerlegt“ zurückgewiesen wird, so Weitzel in einer Mail an Cicero. Erstellt wurde diese Studie von Lisa Littman, einer Ärztin, Forscherin und Hochschulprofessorin an der School of Public Health der amerikanischen Brown University. Darin prägte Littman im Jahr 2018 den Begriff der „Rapid-Onset Gender Dysphoria“, womit eine plötzlich auftretende Geschlechtsdysphorie gemeint ist.

Demnach sei eine neue Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden, für den rapiden Anstieg ausschlaggebend: Junge Menschen, die zuvor keinerlei Anzeichen gezeigt hätten, nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht übereinzustimmen, aber plötzlich trans sein sollen. Littman führt dieses Phänomen auf eine „soziale Ansteckung“ zurück, ausgelöst durch die Omnipräsenz des Themas im Internet, den gewachsenen Einfluss der Queer- und Transaktivisten und als Resultat einer zunehmend transaffirmativen Haltung auch im direkten Umfeld der Kinder und Jugendlichen, bei Eltern, Lehrern und im Freundeskreis.

Psychoanalytiker Ahrbeck sieht das ähnlich: „Im Internet finden sich Menschen mit allen möglichen Sorgen und Nöten zusammen. Auch diejenigen, die mit ihrem Geschlecht ein Problem haben. An dieser Stelle setzt der erhebliche Einfluss der Transbewegung ein, die zwar Kindern helfen will, sich aber auch propa­gandistisch für den Transweg einsetzt.“ Laut Ahrbeck, Felder, Korte und anderen ist das eine besorgniserregende Entwicklung. Felder etwa sagt: „Ich bin überzeugt, dass die Frage, ob ein Jugendlicher wirklich einen transsexuellen Weg einschlägt, in den allermeisten Fällen erst beantwortet werden kann, wenn dieser zumindest die Pubertät durchlaufen hat. Denn da verändert sich noch einmal sehr viel.“

Das scheint die Empirie zu bestätigen: Untersuchungen zeigen, dass je transaffirmativer mit Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie umgegangen wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich diese für den Transweg entscheiden. Anders formuliert: Bestätigt man den Nachwuchs nicht ausschließlich in dem Wunsch, das Geschlecht wechseln zu wollen, erledigen sich die meisten Fälle von Geschlechtsdysphorie im Laufe der Pubertät von selbst. Unter anderem auch, weil dem Gefühl, trans zu sein, eine unterdrückte oder noch nicht erkannte Homosexualität zugrunde liegen könnte.

Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie häufig sogenannte Komorbiditäten aufweisen, darunter Angststörungen, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen, etwa infolge sexuellen Missbrauchs. Überproportional viele dieser Kinder und Jugendlichen sind zudem im Autismusspektrum, weshalb es ihnen besonders schwerfallen könnte, ihren sich verändernden Körper zu akzeptieren. Gegner des identitätspolitischen Ampelkurses fürchten daher, dass ein Selbstbestimmungsgesetz dazu führen könnte, dass sich immer mehr junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie für einen Weg entscheiden, der gar nicht der ihre ist.

Denn mittlerweile tritt auch ein weiteres Phänomen gehäuft auf: der Wunsch nach einer Detransition, also nach einer Rückkehr zum Status quo ante. Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen sich nach einer Transition nach dem Urzustand zurücksehnen, gibt es keine. Viele Transaktivisten, darunter Tessa Ganserer von den Grünen, sprechen von weniger als 1 Prozent. Experten wie Ahrbeck und Felder aber glauben, dass deutlich mehr Menschen betroffen sein könnten. Doch infolge von Scham- und Schuldgefühlen, aber auch aufgrund der zu erwartenden negativen Reaktionen ihres Umfelds trauen sie sich nicht aus der Deckung. Ahrbeck warnt daher: „Wenn das Selbstbestimmungsgesetz kommt und sich auch an anderen Stellen diese affirmative Haltung weiter durchsetzt, wird das sehr viel Unglück produzieren.“
Eine zweite große Debatte, die mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz einhergeht, dreht sich um die Frage, welche Konsequenzen der identitätspolitische Kurs der politisch Verantwortlichen für Frauen generell haben könnte. Innerhalb der feministischen Bewegung, aber auch innerhalb der Schwulen- und Lesbenbewegungen, ist darüber ein heftiger Streit entbrannt. Alice Schwarzer etwa schreibt: „Eine lautstarke Minderheit der Transfrauen setzt ihre neue Identität aggressiv gegen die Interessen biologischer Frauen.“

Unterm Strich wirft Schwarzer Frauen, Schwulen und Lesben, die sich am neuen Transaktivismus beteiligen, vor, gegen die eigenen Interessen zu handeln, die Errungenschaften des Feminismus der vergangenen Jahrzehnte zu verraten und Frauen „unsichtbar“ machen zu wollen. Etwa, weil Trans- und Queeraktivisten Frauen in Abgrenzung zur „weißen, patriarchalen Mehrheitsgesellschaft“ zunehmend unter dem Begriff „Flinta“ subsummieren, was für Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans- und Agenderpersonen stehen soll.

Unterstützung bekommen Schwarzer und andere sogar von Menschen, die selbst trans sind, denen die aktuellen Entwicklungen aber zu weit gehen. So findet sich im Buch von Schwarzer und Louis auch ein Interview mit dem Transmann Till Amelung. Er kritisiert: „Seit einigen Jahren wird der Begriff ,trans‘ immer diffuser. Inzwischen kann man sich ja, sobald man nur das geringste Unbehagen mit Geschlecht und Geschlechterrollen verspürt, das Label ,trans‘ aufpappen.“ Auch Amelung ist gegen das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz, da bereits die Änderung des Geschlechtseintrags („soziale Transition“) weitreichende Folgen für Betroffene hat.

Queer- und Transaktivisten wiederum wollen die Hürden für soziale und körperliche Transitionen konsequent senken und ihren Aktivismus für alle Geschlechtsidentitäten öffnen, die als sexuelle Minderheiten gelten. Nicht nur für Transpersonen, sondern auch für Menschen, die sich als „gender-fluid“ (mal das eine, mal das andere Geschlecht) oder als „non-binär“ (keines von beiden) identifizieren. Feministinnen wie Schwarzer, die dagegen sind, nennen sie „Terfs“, was für „Trans-Exclusionary Radical Feminists“ steht. Ein Vorwurf lautet, dass diese „Terfs“ im Sinne der eigenen Agenda einen Schulterschluss mit reaktionären Kräften eingingen.

Es ist ein Kulturkampf, der längst nicht mehr nur im Internet oder in Büchern ausgetragen wird. Von der Humboldt-Universität zu Berlin wurde jüngst ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zum binären Geschlechtersystem abgesagt, nachdem Transaktivisten gegen Vollbrecht mobil gemacht hatten. Erst im zweiten Anlauf konnte die Veranstaltung mit zweiwöchiger Verspätung und unter erheblichen Sicherheitsmaßnahmen stattfinden. Und beim lesbischen Dyke March in Köln attackierten Transaktivisten eine Gruppe Lesben. Diese hatten ein Transparent mit der Aufschrift „Lesbe, homosexuell, nicht queer“ enthüllt sowie eine Regenbogenflagge dabei, auf der „LGB“ stand, was für Lesben, Schwule und Bisexuelle steht. Für Queer- und Transaktivisten, die längst zum Teil von „LGBTQI+“ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Queer, Inter und mehr) sprechen, eine Provokation. Eine Frau wurde bei dem Angriff verletzt.

Ein Blick ins Ausland zeigt, was Frauen wie Schwarzer und Galuschka oder Netzwerke wie das WDI oder die LGB Alliance Deutschland, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen und Bisexuellen einsetzt, alarmiert: Immer mehr transidente Männer drängen in den Frauensport, wo sie, weil körperlich überlegen, der Konkurrenz den Rang ablaufen. Prominentes Beispiel ist das des Schwimmers Will beziehungsweise Lia Thomas, der nicht nur Sieg um Sieg in Frauenwettbewerben holt, sondern bereits Anlass einer Beschwerde von Schwimmerinnen war, die sich nicht gemeinsam mit ihm umziehen wollten.

Ähnliche Diskussionen könnten bald auch auf Deutschland zukommen. Kürzlich verkündete etwa der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dass trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen in Amateurmannschaften selbst entscheiden sollten, ob sie für ein Männer- oder ein Frauenteam auflaufen möchten. Bemerkenswert, zumal hier einmal mehr das gefühlte und das biologische Geschlecht miteinander vermischt werden. Demnach könnte ein Mann, der sich partout nicht dem einen oder dem anderen Geschlecht zuordnen lassen will, für eine Frauenmannschaft auflaufen, obwohl er sich gar nicht als Frau identifiziert.

Aber auch Fälle von Sexualstraftätern sind protokolliert, die sich durch ihr (angebliches) Transsein Zugänge zu Frauen verschafft haben, die ihnen als bekennende Männer verwehrt geblieben wären. Bereits im Jahr 2018 sah sich das britische Justizministerium zu einer Entschuldigung gezwungen, nachdem ein 52-jähriger Transgender-Häftling zahlreiche Insassinnen sexuell bedrängt hatte. Ähnliche Fälle sind auch in anderen Ländern protokolliert, wo sich, je nach geltender Rechtslage, Männer bereits in Frauengefängnisse verlegen lassen können, wenn sie sich offiziell „Frau“ nennen. Es gibt mittlerweile ganze Internetseiten, die sich darauf spezialisiert haben, Fälle von Gewalt durch echte oder angebliche Transpersonen gegen vor allem Frauen und Kinder zu dokumentieren.

Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes fürchten nun, dass es infolge eines mehr oder weniger unkontrollierten Geschlechtswechsels via Sprechakt vermehrt auch zu Übergriffen gegen Frauen durch biologische Männer kommen könnte, die den Begriff „trans“ als Feigenblatt nutzen, um dadurch einfacher Zugang zu Frauenhäusern, Frauengefängnissen und Frauenumkleiden zu erhalten. Queer- und Transaktivisten hingegen halten solche Sorgen für Panikmache, sprechen von „Einzelfällen“ und halten dagegen, dass Männer nicht erst in Frauenräume vordringen müssten, um übergriffig zu werden.

Die Bundesregierung delegiert derweil die Verantwortung. Über die Aufnahme in ein Frauenhaus entscheide das Team vor Ort, heißt es auf Nachfrage. Und über den Zugang zu öffentlichen Toiletten und Umkleidekabinen hätten meist ohnehin die Einrichtungen zu bestimmen. Außerdem wird von Verfechtern des Selbstbestimmungsgesetzes vor einer Kriminalisierung von Transpersonen gewarnt. Biologin und Frauenrechtsaktivistin Galuschka sieht das anders: „Frauen und Mädchen wird da gar nicht zugehört. Ihre Bedenken werden kleingeredet.“

Doch zurück zu jenem Tag Ende Juni, als vor der norwegischen Botschaft demonstriert wird. Drei Kilometer nordöstlich von hier treten Buschmann und Paus vor die Presse, um die „Eckpunkte“ ihres Selbstbestimmungsgesetzes vorzustellen. Bis Ende des Jahres soll es durchs Kabinett. „Heute ist ein guter Tag für die Freiheit und für die Vielfalt in unserem Land“, sagt Paus. Und Buschmann fügt hinzu, dass das Selbstbestimmungsgesetz „das Leben für transgeschlechtliche Menschen verbessern und geschlechtliche Vielfalt anerkennen“ werde.

Von einem Journalisten auf die Bedenken von Frauen angesprochen, die sich mit einem biologischen Mann in der Sauna oder in der Umkleide nicht wohlfühlen könnten, antwortet die Bundesfamilienministerin: „Transfrauen sind Frauen, und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf.“ Zur Erinnerung: Paus ist Mitglied der Grünen, einer Partei, die sich selbst eigentlich „feministisch“ nennt. Doch das Bekenntnis zum Feminismus scheint, wie die Definition von Mann und Frau, zunehmend relativ zu werden.

Ben Krischke ist Redakteur bei Cicero und lebt in München.

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