Samstag, 6. August 2022

Kulturkampf ums Geschlecht

Kulturkampf ums Geschlecht
Die Ampelregierung will sexuellen Minderheiten das Leben erleichtern. Kritiker fürchten die gesamtgesell­schaftlichen Folgen.

Von Ben Krischke

Just an jenem Tag, an dem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ihre „Eckpunkte“ für das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz in Berlin vorstellen, findet drei Kilometer südwestlich vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt eine Demonstration statt. Eine kleine Gruppe Aktivisten hat sich Ende Juni vor der norwegischen Botschaft versammelt. Anlass ist eine strafrechtliche Ermittlung in Norwegen, die für Außenstehende wie Satire klingen mag. Für Christina Ellingsen aber könnte sie bald schon bitterer Ernst werden.

Die Norwegerin ist Mitgründerin des Frauenrechtsnetzwerks „Women’s Declaration International“ (WDI) und hat eventuell gegen ein seit dem Jahr 2020 geltendes Gesetz verstoßen. Dieses stellt „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsidentität“, wie es darin heißt, unter besonderen Schutz. Ellingsens mögliches Vergehen: Sie hat öffentlich behauptet, dass Männer keine Lesben seien – und wurde dafür von einem transidenten Mann, der sich als Lesbe identifiziert, angezeigt. Sollte es zu einer Anklage kommen, drohen ihr in Norwegen bis zu drei Jahre Haft.

Antje Galuschka gehört zu den Organisatoren des Protests vor der norwegischen Botschaft. Eine Biologin und Mutter, die früher nie aktivistisch gewesen sei, wie sie im Gespräch erzählt. In den vergangenen zwei, drei Jahren aber hat sich etwas geändert. Galuschka ist laut geworden. Vor allem in den sozialen Medien. Doch ihr und ihren Mitstreitern, darunter vor allem Frauen, reicht das nicht. Die Demonstration in Berlin soll der Auftakt für weitere Proteste in anderen Städten des Landes sein. Galuschka sagt: „Wir wollen darauf aufmerksam machen, was künftig auch in Deutschland passieren könnte, wenn eine Frau sagt: ,Nein, das ist ein Mann, keine Frau.‘ Deswegen gehen wir auf die Straße.“

Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hat sich einem identitätspolitischen, also einem auf Minderheiten ausgerichteten Kurs verschrieben, der bei der Geschlechterfrage gewisse Parallelen zu Norwegen aufweist. Dort wurde im Jahr 2016 ein Selbstbestimmungsgesetz und vier Jahre später dann eines gegen „Hassrede“ verabschiedet. Im ersten Schritt, so sieht es das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelregierung für Deutschland vor, sollen Erwachsene künftig via Sprechakt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Bei Minderjährigen soll die Zustimmung der Eltern reichen. Im Gegenzug soll das derzeit geltende Transsexuellengesetz gestrichen werden. Dieses sieht für die Änderung des Geschlechtseintrags gewisse Hürden vor, etwa psychologische Gutachten. Hürden, die von Betroffenen und Beteiligten als herabwürdigend und nicht mehr zeitgemäß beschrieben werden.

Was nach radikal-liberaler Gesellschaftspolitik klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Ausdruck einer konsequenten Weigerung, biologische Tatsachen anzuerkennen. Es ist ein entscheidender Schritt in ein postfaktisches Geschlechtersystem, in dem Begriffe wie Mann und Frau nur noch relativ wären. Bedenken indes werden von Verfechtern des Selbstbestimmungsgesetzes beiseitegeschoben und als „reaktionär“, „transphob“ oder einfach nur „rechts“ markiert. Biologin Galuschka, die Mitglied der Grünen ist, formuliert es so: „Wir versuchen, die Debatte zu führen, doch die andere Seite will sie verhindern.“