Ich will nicht links und nicht rechts regiert werden, sondern vernünftig.
Ich wünsche mir Politiker ohne feuchte Aussprache, Menschen, die weder schreien noch säuseln, sondern die vernünftig mit der Bürgergesellschaft sprechen. Ich wünsche mir ein Programm, das weder nostalgisch noch futuristisch, sondern realistisch ist. Die geistige Gründungsfigur aller Vernünftigen kann nicht Karl Marx, kann nicht der Papst, und kann auch nicht Greta Thunberg sein. Immanuel Kant, der sich an den vernunftbegabten Menschen wandte, wäre der Gesellschaft bekömmlicher:
Sapere aude! Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!
Und so ist denn zu Beginn der Nach-Merkel-Zeit und vor dem Start der Koalitionsverhandlungen vielleicht eine gute Gelegenheit, an jene sechs Dinge zu erinnern, auf die sich vernünftige Menschen in wenigen Minuten werden verständigen könne
1.Unser Staatsapparat ist ein Prahlhans, der nicht liefert. Die Internetverbindungen sind lausig, die Bahn ist überfordert, die Schulen befinden sich in einem bemitleidenswerten Zustand. Die Schulden bewegen sich auf Rekordhöhe und man fragt sich, wer bitte schön das viele Geld in welchem Loch verbuddelt hat. Dieser Staat muss reformiert werden, sonst kann er diesem Land im 21. Jahrhundert keinen Dienst erweisen.
2. Die kommende Regierung muss ihre Arbeit mit einer ökonomisch präzisen Analyse beginnen. Dieses Deutschland erlebt – ohne, dass die Spitzen der Parteien das zur Kenntnis nehmen – seit vielen Jahren seinen Abstieg, relativ zu den anderen großen Wirtschaftsmächten dieser Welt. Bald wird ein einzelner US-Bundesstaat, Kalifornien nämlich, mehr Wohlstand erzeugen als die doppelt so große Bundesrepublik. Im öffentlichen Diskurs ist dauernd von Industrie 4.0, Start-up-Wettbewerben und Innovationsoffensiven die Rede. Doch hinter diesem Wortnebel sehen wir ein Land, das an der Schwelle zum digitalen Zeitalter seine Zeit vertrödelt. Nur wer über die Gründe spricht, wird die Laufrichtung verändern können.
3. Wir gehen mit unseren Kindern nicht verantwortungsbewusst um. In ihren Köpfen wohnt der größte natürliche Rohstoff, den dieses Land zu bieten hat. Und wir tun nicht genug, um diesen wertvollen Rohstoff zu entwickeln und dann gewinnbringend zu explorieren. In den Kinderzimmern und in den Vorschulen findet die größte Talentverschwendung aller Zeiten statt. Vorschulkinder könnten eine neue Sprache in 100-facher Geschwindigkeit lernen. Stattdessen wird gepuzzelt. In den weiterführenden Schulen derselbe trostlose Befund: Die Liebe der Jugendlichen zum Neuartigen und auch zum Digitalen wird nicht erwidert. Der Staat traktiert den Nachwuchs mit seiner Gestrigkeit. Überall riecht es nach Bohnerwachs und man hat das Gefühl, gleich schreitet Heinz Rühmann um die Ecke.
4. Die Familienunternehmer sind heutzutage die Garanten dafür, dass Deutschland nicht abstürzt. Derweil sich Kirchen, Gewerkschaften und auch Parteien aus dem Alltagsleben der Menschen zurückziehen, wird in den Familienfirmen Stabilität vermittelt. Bei Facebook wird gepostet und gepestet, in der Firma aber wird gelacht, gescherzt und geheiratet. Wer diese Familienunternehmen ständig nur deckeln, schröpfen und mit den Mitteln der Bürokratie versklaven will, kann der Freund des Volkes nicht sein.
5. Die Klimapolitik ist wichtig, aber nicht so wichtig, dass sie mit sozialer Spaltung erkauft werden darf. Hier kommt es darauf an, die Wechselwirkungen zu beachten. Wer einfach nur die Energiesteuern erhöht und immer weiter erhöht, der wird Inflation ernten. Die steigenden Energiepreise treten über die Ufer der Stromrechnung und setzen sich in den Preisen aller Produkte und Dienstleistungen fort. Durch keine Ausgleichszahlung der Welt wird sich der Effekt der inflationären Durchdringung für die kleinen Leute aufheben lassen. Deutschland ergrünt – und erkaltet.
6. Die Gefahr der Deindustrialisierung ist real, wenn die Klimapolitik zuerst auf den strafenden Staat setzt. Der Wechsel von den fossilen auf die erneuerbaren Rohstoffe muss ein Festival der neuen Technologien sein – oder dieser Wechsel findet gar nicht statt. Die neuen Koalitionäre sollten die Realwirtschaft und auch den internationalen Kapitalmarkt für diese gemeinsame Kraftanstrengung gewinnen. Marktwirtschaftlich zu handeln, ist nicht neoliberal, sondern vernünftig.
Fazit: Weil die Lage ist, wie sie ist, können wir, um mit Stefan Zweig zu sprechen, Politiker, die jetzt die „Hasstrommel“ schlagen und ihren „Aufpeitschungsdienst“ leisten, nicht gut gebrauchen. Möge die neue Regierung an ihrem Kabinettstisch einen hohen Anteil für die Vernünftigen reservieren. Wir brauchen keine neuen Parteien. Aber was wir gut gebrauchen könnten, ist die Neubegründung der bestehenden.
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