Corona und die Medien
„Normalbürger müssen
sich keine großen Sorgen machen“
Von Frank Lübberding
Seit Anfang 2020 prägen die Medien unseren Blick auf Corona. Doch haben sie
die Krise mit all ihren Unsicherheiten angemessen abgebildet? Eine
chronologische Liste exemplarischer Aussagen aus den letzten zwei Jahren –
besonders eine Tendenz fällt auf.
Am Anfang der Pandemie
gab es eine grundlegende wissenschaftliche Einsicht: Unser Wissen über ein
neues Virus ist immer vorläufig. Es wird also neue Erkenntnisse und darauf
beruhende veränderte Schlussfolgerungen geben. Unter dieser Prämisse ist der
Irrtum die Grundlage des Fortschritts.
Von dieser Einsicht
hat sich die deutsche Gesellschaft sehr schnell verabschiedet. Bald ging es in
der Debatte nicht mehr um die Wissenschaft und deren Diskurse, sondern um die
Legitimation politischer Entscheidungen. Diese sind in Demokratien zwangsläufig
umstritten. Menschen haben unterschiedliche Interessen. Sie setzen in ihrem
Wertegefüge unterschiedliche Prioritäten. Gruppen mit gesichertem Einkommen in
der Pandemie schätzen die Risiken staatlicher
Pandemiebekämpfung anders ein als solche, deren wirtschaftliche
Existenzgrundlage zerstört wird.
Unsere
Übernahme des chinesischen
Lockdown-Modells im März 2020 war der Kern politischer Konflikte. In
freien Gesellschaften werden solche offen ausgetragen, eine wichtige Rolle
spielen dabei die Medien. Dort gab es eine beunruhigende Entwicklung zu
beobachten. Konflikte wurden nicht mehr als legitim betrachtet, sondern der
politische Gegner zunehmend als illegitimer Feind angesehen.
Diese Zitatensammlung ist der Versuch einer
Rekonstruktion dieser Konflikte. Die Auswahl ist subjektiv, vieles fehlt,
darunter fremde und eigene Irrtümer. Niemand erwartete im Januar 2020, was uns
in den kommenden beiden Jahren bevorstehen würde. Die Zitate haben folglich
nicht den Zweck, anderen ihre Fehleinschätzungen vorzuwerfen. Hier sitzen alle
Medien im selben Glashaus.
Die Sammlung soll vielmehr den kritischen Sinn für
einen Diskurs schärfen, der sich in einem atemberaubenden Tempo in den
Kategorien des Freund-Feind-Denkens verselbständigte. Viele beanspruchten
zunehmend einen Monopolanspruch.
Es handelt sich bei dieser Zitatensammlung allerdings
nicht nur um einen Rückblick, sondern zugleich um einen Warnruf als Ausblick:
Die liberale Gesellschaft droht ihre vielbeschworenen Werte zu verlieren. Einer
unserer wichtigsten Grundwerte ist der politische Streit als tragende Säule
unserer Verfassung. Entscheidend ist nicht, wer ein Argument formuliert,
sondern die Stichhaltigkeit des Arguments. Man muss also in einer Demokratie
immer davon ausgehen, dass sogar ein Gegner die besseren Argumente hat.
Zwei Jahre
Pandemie in den Medien
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 24. Januar 2020:
„In China wurden allerdings in den vergangenen Tagen
mehrere Millionenstädte mit der Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens unter
Quarantäne gestellt, zudem die chinesischen Neujahrsfeiern wegen des
Coronavirus abgesagt. Man ahnt, was die Welt in den kommenden Wochen
beschäftigen könnte. Milchmädchenrechnungen werden wir uns bei dem Thema nicht
leisten können.“
n-tv, 27. Januar 2020:
„Zur ‚Einordnung‘ betonte Spahn, dass der
Krankheitsverlauf beim Coronavirus milder sei als etwa bei einer Grippe. ‚An
einer Grippe, wenn sie schwer verläuft, sterben in Deutschland bis zu 20.000
Menschen im Jahr.‘ Auf die Frage, ob in Deutschland wie in China auch die
Abschottung ganzer Städte möglich sei, führte Spahn das Beispiel von Masern an,
die deutlich ansteckender seien als das Coronavirus. ‚Und wir bekommen auch
einen Masern-Ausbruch in Deutschland mit deutlich milderen Maßnahmen in den
Griff, als wir sie derzeit in China sehen.‘“
„Zeit“, 28. Januar 2020:
„Harmlos ist das neue Coronavirus aber keinesfalls,
gleichzeitig mahnen Wissenschaftler immer wieder zur Besonnenheit.“
Bayerischer Rundfunk, 30. Januar 2020:
„Es gibt natürlich auch die, die immer erregt sein
wollen, weil Erregung das Zentrum ihrer politischen Arbeit darstellt. Martin
Sellner von der Identitären Bewegung etwa zwitscherte: ‚Das Wuhan Virus
verbreitet sich rasend schnell. Offene Grenzen bedeuten auch offene Grenzen für
Viren.‘ Wer die Apokalypse zur Basis seines Denkens macht, der schlägt
Maßnahmen zu deren Verwirklichung vor. (…) Kein Verkehr mehr, Flugzeuge bleiben
am Boden, Züge fahren nicht, quasi Generalstreik, die Wirtschaft erlahmt,
Krise, und schon hätte man genau das, was man draußen halten will: das Desaster.
Natürlich beteiligt sich auch der Asthma-Anfall für Deutschland, kurz AfD, an
der Paranoia-Produktion. Und rechte YouTuber kriegen sich vor lauter
Endzeitpsychosen gar nicht mehr ein. (…) Warum sind so viele so leicht mit
Verschwörungstheorien zu infizieren?“ (Der Beitrag des Magazins „quer“ wurde
inzwischen gelöscht, ist aber hier noch zu sehen, Anm. d.
Red.)