„Kommunikationsprobleme“ bekennt die Kölner Polizei beim Umgang mit den Übergriffen in der Silvesternacht. Auch ARD und ZDF haben solche – bei der Berichterstattung. Sie sollten es einmal mit Journalismus versuchen.
06.01.2016, von Frank Lübberding - FAZ
Vor Pauschalurteilen muss man bekanntlich warnen. Ansonsten stünden seit gestern alle Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen unter dem Generalverdacht, ein Kommunikationsproblem zu haben. Die Kölner Polizei sprach in ihrer Pressemitteilung zu Neujahr von einer „entspannten Einsatzlage“ an Silvester, auch weil sich „die Polizei an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte.“ Was darunter zu verstehen war, erfuhr die Öffentlichkeit erst später. Am Hauptbahnhof kam es zu massiven Störungen der sogenannten „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, zu Angriffen auf die körperliche Integrität von Bürgern, zu Sexualdelikten und anderen Straftaten. Dem Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers zufolge war ein „Kommunikationsproblem“ für die irreführende Pressemitteilung verantwortlich. Zur Erinnerung: Am Bahnhof gab es Polizei, die aber nach übereinstimmenden Zeugenaussagen die öffentliche Ordnung nicht sicherstellen konnte.
Für gewöhnlich werden Journalisten mit gutem Grund misstrauisch, wenn handelnde Akteure Fehler mit „Kommunikationsproblemen“ begründen. Dahinter verbergen sich meistens gravierende Fehleinschätzungen. Aber was passiert eigentlich, wenn die Medien in solchen Fällen ein eigenes Kommunikationsproblem haben? Sie nicht mehr wissen, wie sie berichten sollen? Weil es irgendjemanden in diesem Land geben wird, der Sachverhalte „politisch instrumentalisiert“, wie es so schön heißt.
Dann müssen besorgte Journalisten anscheinend verhindern, dass die Meinungsbildung beim Publikum unerwünschte Ergebnisse zeigt. Die mediale Nachbetrachtung der Ereignisse in Köln stand im Fernsehen im Zeichen dieser Sorge. Dafür lieferten ARD und ZDF am Dienstagabend interessanten Anschauungsunterricht. So stimmen alle Zeugenaussagen in einem Punkt überein: Die Täter am Kölner Hauptbahnhof hatten einen nordafrikanischen oder arabischen Hintergrund. Daraus kann man tatsächlich einen unsinnigen Generalverdacht gegen jeden Migranten erzeugen, der in den vergangenen sechzig Jahren in dieses Land eingewandert ist. Was aber macht der WDR in seiner ARD-Sendung über die „Anatomie einer Silvesternacht“ daraus? Er formuliert Zweifel an der Identität dieser Täter, obwohl es bisher keinen einzigen Hinweis darauf gibt, deren Herkunft könne nicht den Zeugenaussagen entsprechen.
„Härte des Rechtsstaats“
Es wäre ein polizeiliches Wunder von Köln, ließe sich Tage später noch die personale Identität von Tatverdächtigen ermitteln. Genau so wenig sind angesichts der Umstände Strafverfahren oder Verurteilungen zu erwarten. Das hätten ARD und ZDF in ihren Spezial-Sendungen thematisieren können. Stattdessen begnügten sie sich mit der Wiedergabe von Politiker-Statements, die das Gegenteil suggerierten. Politiker aller Parteien fanden starke Worte, sprachen etwa von „widerwärtigen“ und „widerlichen“ Ereignissen. Es fehlte auch nicht der übliche Verweis auf die „ganze Härte des Rechtsstaates“, obwohl die Kölner Polizei bisher nicht einen einzigen Tatverdächtigen ermitteln konnte. Es wäre die Aufgabe eines kritischen Journalismus, die Substanzlosigkeit solcher politischen Stellungnahmen sichtbar zu machen – und den Rechtsstaat vor überzogenen Erwartungen an seine Handlungsfähigkeit zu schützen. Es handelt sich um ein desaströses Versagen der Polizei, wenn Bürger in derer Anwesenheit Angst um ihre persönliche Integrität haben müssen. Das gilt auch für den Mordfall in Kassel, wo vor Jahren in einem Internet-Cafe ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes saß, während dessen Betreiber von einem Neonazi erschossen wurde. Das daraus resultierende „Kommunikationsproblem“ haben die Behörden bis heute nicht lösen können.
Wenn man wie in Köln ein Problem mit jungen Arabern hat, muss man das deutlich machen. Probleme mit Neonazis ebenso. Aber stattdessen thematisieren ARD und ZDF lieber ihr Misstrauen gegenüber den eigenen Zuschauern. Sie könnten solche Ereignisse falsch verstehen, sagt in der ARD ein Kommunikationswissenschaftler. Seine Aussage, man wisse nichts über die Herkunft der Tatverdächtigen, war zwar schlicht falsch. Aber wen störte das schon, wenn man nicht die in Köln offenkundig gewordenen Integrationsprobleme mit jungen Arabern männlichen Geschlechts diskutieren will? Lieber relativiert man den Sachverhalt bis zur vollständigen Beliebigkeit, um jeden politischen Kontext zur Flüchtlingskrise zu verhindern. Der wird gleichwohl gezogen werden, trotz besorgter Journalisten. Es wäre gerade deren Aufgabe, diesen Zusammenhang kritisch zu überprüfen. Weil die Identität der Täter vom Kölner Hauptbahnhof in den wenigsten Fällen feststellbar sein wird, kann auch niemand etwas über deren Einreiseweg in die Bundesrepublik sagen. Aber ist es wirklich ein Argument, wenn die unbekannten Tatverdächtigen schon länger in Deutschland leben?
Journalismus für Karnevalisten?
Der Journalismus muss politische Debatten abbilden, nicht verhindern. Das gilt nicht zuletzt für die Flüchtlingskrise, die zum Sprengsatz für die deutsche Politik werden könnte. Vor allem, wenn die Bundesregierung ihre eigene Erwartung nicht erfüllen kann, die der Bundesinnenminister in den ARD-„Tagesthemen“ so formulierte: Es müsse zu einer „drastischen Reduzierung der Flüchtlingszahlen“ kommen. Dabei ist jeder Generalverdacht zu vermeiden. Es wäre schon ein Fortschritt, könnten ARD und ZDF ihre „Kommunikationsprobleme“ in der Berichterstattung lösen. Das gilt gerade für den WDR, der nicht mitbekommen hat, was zu Silvester vor seiner Haustür passiert ist. Ob uns der Sender dafür bald mitteilen kann, wie beim Kölner Karneval Frauen „eine Armeslänge“ Abstand zu Fremden halten, wie die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zur Rettung des Frohsinns vorschlägt? Das ist bestimmt ein schönes journalistisches Thema, für die Karnevalisten beim WDR und auf dem Mainzer Lerchenberg.
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