Sonderrechte statt Rechtsstaat
Im Gleitflug: Über die Linksverschiebung des Rechtsempfindens
Von Dr. Peter J. Brenner
Neben dem Alltagsrecht hat sich ein Sonderrecht etabliert, das sich auf höhere moralische Grundsätze als Partlamente stützt. Das gilt für Einwanderung, wird aber auch auf die Klima- und Corona-Politik übertregen. Und die Hypermoral ist auch ein gutes Geschäft.
Einen halben Tag lang sah es so aus, als habe man in den Chefetagen der deutschen Leitmedien erwogen, den „Vorfall beim EM-Spiel“ vom 15. Juni 2021 in der Münchener Allianz Arena unter „Vermischtes“ zu behandeln. Aber ein „Vorfall“, der allein in Deutschland von 22 Millionen Fernsehzuschauern gesehen wurde, ist etwas anders als eine Silvesternacht auf der Kölner Domplatte. Eine ortsansässige süddeutsche Zeitung mit überregionaler Verbreitung hatte einige Mühe, das Ereignis zu kommentieren. „Tölpelhaft und unverantwortlich“ sei die „Aktion“ gewesen. Dass sie auch und in erster Linie kriminell war, mochte man aber doch nicht hinschreiben.
Die Gleitschirmaktion des Umweltschutzkonzerns „Greenpeace“ fügt sich in eine lange Reihe ähnlicher Aktionen ein. Besonders auffällig war sie nur, will sie vor einer weltweiten Öffentlichkeit spektakulär gescheitert ist. Gemeinsam ist diesen Aktionen, dass sie rechtswidrig sind und dass ihre Akteure in der Regel nicht mit nennenswerten Strafen rechnen müssen. Bei den Vertretern der einschlägigen Organisationen weiß man, dass man die Gesetze der Bundesrepublik ziemlich folgenlos ignorieren darf. Man weiß aber offensichtlich nicht, dass das für die Gesetze der Natur nicht gilt. Die Schwerkraft bleibt die Schwerkraft, auch für „Greenpeace“. Die Natur lässt nicht mit sich verhandeln.
Bei den Gerichten sieht das anders aus. Die Blockade von Autobahnen, Bahngleisen und Schifffahrtswegen gilt vor Deutschlands Gerichten längst als nur lässliche Sünde. Zwei Wochen vor dem Vorfall in der Allianz Arena hat das Amtsgericht Wolfsburg „Greenpeace“-Mitarbeiter, die Straßen und Schifffahrtswege zum Schaden des Volkswagenwerks blockiert hatten, ohne Auflagen freigesprochen, und wenige Tage zuvor waren „Greenpeace“-Akteure mit einer anderen kriminellen Aktion erfolgreich: durch den Diebstahl von über tausend Schlüsseln von exportbereiten Neuwagen verursachten sie dem Automobilhersteller Volkswagen einen Millionenschaden. Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG fand das witzig und nahm es ebenso gelassen wie die weitaus meisten Medien – es war ja nur das Geld der Aktionäre, das hier verbrannt wurde.
Gesinnungsethik, Hypermoral und zweierlei Recht
Dass in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten rechtsfreie Räume geduldet werden, ist bekannt und nie weiter anstößig gewesen. Die Hausbesetzer in Hamburg und Berlin gehörten ebenso wie die Parallelgesellschaften in den Migrantenghettos zur deutschen Alltagsnormalität. Man nahm sie hin, weil sie nur einen geringen und lokal begrenzten Störfaktor mit einem gewissen medialen Unterhaltungswert darstellten.
Seit der Flüchtlingskrise sieht das anders aus. Im Umfeld des Asylgeschehens hat sich die deutsche Rechtspraxis immer weiter von der Rechtssystematik der Bundesrepublik entfernt. Innerhalb weniger Jahre ist ein doppeltes Recht entstanden: ein Recht für Migranten und ein Recht für Einheimische; ein Zustand, der sich durch die alltägliche Rechtsprechung, insbesondere der Verwaltungsgerichte, aber auch des Bundesverfassungsgerichts, zügig verfestigt hat. Auf diesem Wege sind system- und kulturfremde Elemente in die deutsche Rechtspraxis eingedrungen. Das Zivilrecht sanktioniert Praktiken der Scharia, wie die Kinder- und Zwangsehe und die Polygamie, die christlichen Kirchen machen ein frei erfundenes „Kirchenasyl“ geltend, das von Behörden und Gerichten ohne jede gesetzliche Grundlage akzeptiert wird, und im Asylrecht gibt es „Härtefallkommissionen“, die rechtskräftig gewordene Urteile gegen Asylbewerber einfach außer Kraft setzen können. So entstand neben dem Alltagsrecht ein Sonderrecht, das sich auf höhere moralische Grundsätze als bloße parlamentarische Verfahren stützen konnte.
Diese Praxis hat sich bewährt, so sehr bewährt, dass sie auf die Klima- ebenso wie auf die Corona-Politik und die sie begleitende Rechtsprechung umstandslos übertragen werden konnte.
Univ.-Prof. Dr. Peter J. Brenner betreibt auf seiner Website www.imsw.de den Bildungsblog „Einmal im Monat“.
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