Tagesschau-Gniffke im
Faktencheck: durchgefallen
Von Jochen Renz Fr, 24.
August 2018
Laut
Chefredakteur der Tagesschau Kai Gniffke, handelte es sich bei dem Mord an Maria L. und
dem Arzt in Offenburg um Fälle von "regionaler Bedeutung",
die damit nicht den Relevanzkriterien der Tagesschau entsprechen. Ist das so?
Nach
Polizeiangaben suchte der 26-jährige Asylbewerber aus Somalia zielstrebig und
ohne Termin die Praxis des Arztes Dr. Joachim T. in Offenburg auf. Er griff
dann den 51-jährigen Mediziner in einem der Behandlungszimmer unvermittelt mit
dem Messer an. Ob der Tatverdächtige Patient des ermordeten Arztes war, ist
noch nicht geklärt. In der Badischen Zeitung wird Dr. Joachim T. als Mediziner
mit Leib und Seele beschrieben, der sich auch um Menschen gekümmert habe, die
andernorts nicht so leicht eine offene Tür finden. Sein Wartezimmer sei
„multikulti“ besetzt gewesen. Auch viele Flüchtlinge und Migranten
hätten bei ihm Rat und Hilfe gefunden.
Nach Maria
L. ist diese schockierende Tat bereits der zweite Mord eines Asylbewerbers in
der Region Freiburg, über den zwar in der New York Times aber nicht in der
Tagesschau berichtet wird. Laut Chefredakteur der Tagesschau Kai Gniffke,
handelte es sich bei Maria L. um einen Fall von „regionaler Bedeutung“, der
damit nicht den Relevanzkriterien der
Tagesschau entspreche. Im aktuellen Fall veröffentlichte Gniffke hierzu eine ausführliche Erklärung.
So heißt es unter anderem:
Wir
berichten in der Tagesschau über Dinge von gesellschaftlicher, nationaler oder
internationaler Relevanz. Dinge, die für die Mehrzahl der rund 83 Millionen
Deutschen von Bedeutung sind. Dabei können wir nicht über jeden Mordfall
berichten. Ich glaube, da würde wohl auch die Mehrzahl unserer Kritiker noch
mitgehen. Wo die Meinungen auseinander gehen, ist die Frage, ob wir darüber
berichten sollten, wenn es sich beim Tatverdächtigen um einen Asylbewerber
handelt. Aus meiner Sicht sollten wir das dann tun, wenn Asylbewerber
überproportional an Tötungsdelikten beteiligt wären. Das ist, soweit wir es
recherchieren können, nicht der Fall. Deshalb haben wir uns gegen die
Berichterstattung entschieden.
Offensichtlich
sind die Recherchekapazitäten der Tagesschau-Redaktion trotz üppiger
GEZ-Finanzierung sehr begrenzt (ARD Aktuell bekommt 25 Cents der EUR 17.50 monatlichen GEZ
Gebühren). Zum einem gibt es natürlich nicht 83 Millionen Deutsche, da ca. 11 Millionen der 83 Millionen
starken Bevölkerung Deutschlands Nichtdeutsche sind. Zum anderen
lässt sich die Beteiligung von Asylbewerbern an Tötungsdelikten durch einen kurzen Blick in die
Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) leicht ermitteln. Laut Tabelle
61 gab es im Jahr 2017 insgesamt 2.678 Tatverdächtige in den Kategorien Mord
(823) und Totschlag (1.855). Davon waren 1.534 Deutsche und genau 365
Asylbewerber. Im Schnitt gibt es also jeden Tag einen Asylbewerber, der eines
Mordes oder Totschlags verdächtigt wird. Jeden Tag ein Einzelfall.
Kriminalstatistik,
genau gelesen
Ist dies nun
überproportional oder nicht, Herr Gniffke? Um dies festzustellen, müssen Sie
nicht einmal die Bevölkerungsstatistik bemühen. Proportional bedeutet relativ
zur Anzahl der jeweiligen zu vergleichenden Gruppen. Ist zum Beispiel einer von
1.000 Asylbewerbern tatverdächtig, so müssten 72.000 von 72 Millionen Deutschen
tatverdächtig sein, um dieselbe Proportion aufzuweisen. Da 1.534 Deutsche eines
Mordes oder Totschlags verdächtigt werden, müsste es ca. 72 Millionen/1534*365,
also ungefähr 17 Millionen Asylbewerber in Deutschland geben, damit diese nicht
überproportional an Mord oder Totschlagsdelikten beteiligt wären.
Wissen Sie
etwas, das wir nicht wissen, Herr Gniffke? Oder wissen Sie etwa nicht was
überproportional bedeutet und verwechseln es mit absolut? Nach dem Motto: Alles
halb so schlimm, schließlich werden Deutsche ungefähr viermal so oft eines
Mordes oder Totschlags verdächtig (1.534 mal) wie Asylbewerber (nur 365 mal).
Oder auch: Keine Sorge, die Mehrheit der Asylbewerber bringt niemanden um.
Solche verharmlosenden Aussagen wurden in der Vergangenheit sehr oft verwendet.
Sehr beliebt ist zum Beispiel die Aussage: “die Mehrheit der Asylbewerber ist
nicht kriminell”. Bedeutet dies doch nur, dass der Anteil
krimineller Asylbewerber weniger als 50% ist. Aber selbst dies stimmt
inzwischen nicht mehr, wie eine detaillierte Analyse der PKS
zeigt, wonach 62% der Asylbewerber im Jahr 2017 tatverdächtig
waren (ohne Berücksichtigung von ausländerrechtlichen Verstößen).
Zusammenfassend
kann man sagen, dass die sehr wohlüberlegte und auch differenzierte Aussage des Chefredakteurs der Tagesschau
eindeutig Fake News ist. Was dies für die Glaubwürdigkeit der Tagesschau
bedeutet, kann sich jeder selbst denken. Konsequenzen wird dies aber natürlich,
wie in Deutschland üblich, keine haben.
Für alle,
die es genauer wissen wollen, im Folgenden noch eine kurze Analyse von Mord und
Totschlag in Deutschland anhand der PKS 2017. Im
Jahr 2017 gab es 1.030 Mordopfer (625 versucht, 405 vollzogen) und 1.834 Opfer
von Totschlag (1.520 versucht, 314 vollzogen), also insgesamt 719 Personen
wurden getötet (davon 544 Deutsche, 75,7%), 2.145 Personen haben einen
Tötungsversuch scheinbar überlebt (davon 1.309 Deutsche, 61,0%). Das
heißt, ca. 40% der Mordopfer wurden getötet, aber nur 17% der Totschlagopfer,
im Schnitt also 25%.
Der Realität
ins Auge sehen
Diese Daten
sind aus Tabelle 911 der PKS, in der auch die Staatsangehörigkeit der
nichtdeutschen Opfer genau aufgeschlüsselt wird. Herkunftsländer der meisten
Getöteten waren: Türkei 21, Polen 15, Syrien 13 und Afghanistan 11. Bei den
Tatverdächtigen (siehe PKS Tabelle 61) wird nicht danach aufgeschlüsselt, ob es
sich um einen Mordversuch oder einen vollendeten Mord bzw. Totschlag handelt.
Es gab 2017 insgesamt 823 Tatverdächtige für Mord (davon 516 Deutsche, 62,7%)
und 1.855 für Totschlag (davon 1.018 Deutsche, 54,9%). Bei Totschlag entspricht
dies ungefähr der Anzahl der Opfer, bei Mord dagegen nur ca. 80% der Opferzahl,
wobei es natürlich auch Fälle mit mehreren Opfern gibt. Die Aufklärungsquote
bei Mord und auch bei Totschlag liegt bei ca. 95.5% (siehe PKS Tabelle 01). Das
heißt, die Tatverdächtigen bei Mord und Totschlagsdelikten sind sehr
wahrscheinlich auch die Täter. Das oft gehörte Argument, dass es sich bei der
PKS ja nur um Tatverdächtige handelt und nicht um Täter, gilt in diesem Fall
also sicherlich nicht.
Die
Herkunftsländer der meisten Tatverdächtigen waren: Türkei 184, Syrien 107,
Afghanistan 92, Rumänien 61 und Polen 57 (siehe PKS Tabelle 61). Bei
Deutschen ist das Verhältnis von Tatverdächtigen zu Getöteten 1534:544,
also etwa 2,8:1. Bei Nichtdeutschen ist das Verhältnis 1.144:175, also etwa
6,5:1. Bei Syrern ist das Verhältnis 8,2:1, bei der Türken 8,8:1, bei Afghanen
8,4:1, bei Polen 3,8:1 und bei Rumänen 12,2:1.
Betrachtet
man nur Asylbewerber, so gibt es wie schon erwähnt 365 Tatverdächtige, davon
348 Männer und 17 Frauen (siehe PKS Tabelle 62). Man muss aber berücksichtigen,
dass Asylbewerber im Sinne der PKS nur Personen sind, bei denen ein Asylantrag
anhängig ist. Das heißt, Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, über
den noch nicht entschieden wurde (siehe PKS Jahrbuch 3). Wurde über einen
Asylantrag entschieden, so gehört derjenige nicht mehr zur Kategorie
Asylbewerber, sondern zur Kategorie “International/national Schutzberechtigte
und Asylberechtigte”, falls der Antrag genehmigt wurde, beziehungsweise zur
Kategorie “Duldung”, falls der Antrag abgelehnt wurde.
Asylbewerber
gemäß dieser Definition gab es 2017 im Jahresschnitt aber laut offiziellen
Dokumenten nur 191.443 (Quellen hier und hier). Damit sind
Asylbewerber relativ zur Anzahl ca. 89-mal so häufig Tatverdächtige eines Mord-
oder Totschlagdelikts wie Deutsche (ca.17 Millionen/191.443, siehe oben).
Was nicht
sein darf, geschieht doch
Wenn dies
für Herrn Gniffke und die Redaktion der Tagesschau nicht überproportional ist,
dann muss man ernsthaft an deren Eignung oder Aufrichtigkeit zweifeln. Nimmt
man Herrn Gniffke beim Wort und fordert aufgrund der überproportionalen Anzahl,
dass über diese Fälle in der Tagesschau berichtet wird, so müsste jeden vierten
Tag ein Bericht über einen vollendeten Mord oder vollendeten Totschlag eines
Asylbewerbers gesendet werden: dies unter der Annahme, dass auch bei
Asylbewerbern 25% der Mord- und Totschlagsfälle vollendet wurden. Bedenkt man,
was dies für politische und gesellschaftliche Konsequenzen hätte, so ist
eindeutig, dass der wahre Grund, in der Tagesschau nicht über diese Fälle zu
berichten, ein anderer ist.
Noch eine
abschließende Anmerkung zum üblichen Erklärungsversuch, dass Asylbewerber nur
scheinbar krimineller sind, da es sich hauptsächlich um junge Männer handelt
und junge Männer immer krimineller sind als der Rest der Bevölkerung. Tabelle
40 der PKS gibt die Belastungszahlen der Deutschen nach Alter und Geschlecht
an, also wie viele Tatverdächtige es je 100.000 Personen der unterschiedlichen
Altersgruppen gibt. Für Mord und Totschlag ist die am meisten belastete Gruppe
Deutscher die der Männer im Alter von 21 oder 22 Jahren mit 11,4
Tatverdächtigen je 100.000 Personen. Bei Frauen sind es die 23- und 24-jährigen
mit 2,3 Tatverdächtigen je 100.000 Personen. Bei Asylbewerbern sind die
Tatverdächtigen nicht nach Alter aufgeschlüsselt, man muss es also abschätzen.
Im Jahresdurchschnitt 2017 gab es ungefähr 115.823 männliche und 75.620
weibliche Asylbewerber (Quellen: hier und hier), davon waren nun 348
Männer und 17
Frauen Tatverdächtige von Mord und Totschlag. Umgerechnet auf 100.000 Personen
ist die Belastungszahl bei männlichen Asylbewerbern dann bei ca. 300 und
bei weiblichen Asylbewerbern bei ca. 22,5. Das heißt, unabhängig vom Alter sind
männliche Asylbewerber 26-mal so oft Tatverdächtige wie deutsche Männer im
Alter von 21 oder 22 Jahren und weibliche Asylbewerber 10-mal so oft
Tatverdächtige wie deutsche Frauen im Alter von 23 oder 24 Jahren. Dies
berücksichtig nicht, dass 2017 etwa 28,7% der männlichen und 40,6%
der weiblichen Asylbewerber Kinder unter 11 Jahren waren. Der oben
genannte Erklärungsversuch trifft also auf Asylbewerber offensichtlich nicht
zu.
Zum Ende
noch einige interessante Fakten:
- Die venezolanische Hauptstadt
Caracas ist der gefährlichste Ort der Welt. Mit fast 120 Tötungsdelikten
pro 100.000 Einwohner weist die südamerikanische Metropole die höchste Mordrate außerhalb
von Kriegsgebieten auf.
- Das Land mit der höchsten Tötungsrate
ist Honduras mit 89 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner (2016).
Deutschland liegt mit einem Wert von 1,2 im unteren Ende der Tabelle
(2016). Die Türkei liegt bei 3,2 (2012), Syrien bei 2,2 (2010),
Afghanistan bei 6,5 (2012), Rumänien bei 1,3 (2016) und Polen bei 0,7
(2016).
- Bei fahrlässiger Tötung nach
§222 StGB (nicht in Verbindung mit Verkehrsunfällen), liegt der Anteil
nichtdeutscher Tatverdächtiger bei 11,3% der 899 Fälle und damit unter dem
Bevölkerungsanteil Nichtdeutscher von 12.,%. Asylbewerber sind mit 6 Fällen
vertreten, und damit anteilig dreimal so hoch wie Deutsche. Diese
Kategorie ist im Artikel nicht berücksichtigt, da es sich nicht um
vorsätzliche Tötung handelt und damit nicht unter Mord und Totschlag
fällt. Es geht aber in die übergeordnete Kategorie “Straftaten gegen das
Leben” (PKS Schlüssel 000000) mit ein, die üblicherweise bei Vergleichen
verwendet wird.
- Im Vergleich zu früheren Jahren
(siehe PKS Zeitreihen, Tabelle 91) gab es 2017 die höchste Anzahl an
Mordopfern (1.030 Opfer) seit dem Jahr 2000. Die Trend ging seit 2000 nach
unten, mit dem niedrigsten Wert im Jahr 2015 mit 777 Opfern, seit 2016
aber wieder stark nach open. Bei Totschlag ging der Trend ebenfalls bis
zum Jahr 2015 zurück (1.680 Opfer in Jahr 2015). Die höchste Anzahl an
Opfern gab es im Jahr 2016 mit 2.039 Opfern von Totschlag. Die Jahre vor
2000 sind in der Tabelle nicht berücksichtigt.
- Betrachtet man nur vollendete
Fälle, so ist die Entwicklung seit dem Jahr 2000 sehr ähnlich
(siehe PKS Zeitreihen, Tabelle 91). Bei Mord ging der Trend bis 2015
ebenfalls zurück. In den Jahren 2012-2015 gab es jedes Jahr zwischen
281 und 298 Ermordete. Mit 375 im Jahr 2016 und 405 im Jahr 2017 gehen die
Zahlen wieder stark nach oben und sind nun auf dem höchsten Wert seit
2005. Bei Totschlag gilt das gleiche. Der niedrigste Wert war 2015 mit 293
Totgeschlagenen, 2016 stieg die Anzahl stark auf 503 an und ging nun mit
326 im Jahr 2017 wieder nach unten.
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