Es ist vorbei. Mit der gestrigen Abstimmung über die Einführung einer Impfpflicht
ist auch in Deutschland der Corona-Tipping-Point endgültig
überschritten. Eine über Monate anhaltende Debatte löste sich nach
kontroversen Wortgefechten im Deutschen Bundestag in Luft auf. Denn
weder der Gesetzentwurf zahlreicher Ampel-Abgeordneter, die sich bis
zuletzt für eine Impfpflicht ab 60 stark gemacht hatten, noch der Entwurf der Union erhielt eine Mehrheit.
Nur 296 Abgeordnete stimmten gestern bei der Gewissensentscheidung
namentlich für den Kompromissentwurf von Abgeordneten aus SPD, FDP und
Grünen – ein Entwurf, der wohl für immer mit den Namen Karl Lauterbach
(SPD) und Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) in Verbindung gebracht
werden wird. 378 Parlamentarier indes stimmten dagegen, neun enthielten
sich ihrer Stimme. Das ist keine knappe Niederlage für Kanzler Olaf
Scholz (SPD) und dessen zuletzt immer lautstarker agierenden
Gesundheitsminister, das ist das Waterloo der deutschen Corona-Politik.
Die Politik hatte sich in der eigenen Echokammer verbarrikadiert
Selbst die Außenministerin, die für derlei pharmazeutische Fisimatenten ihres Kabinettkollegen extra den wichtigen Nato-Gipfel in Brüssel verlassen
hatte, wo man sich am gestrigen Vormittag eigentlich über das weitere
Vorgehen in der Ukraine verständigen wollte, konnte der sich
bahnbrechenden Sehnsucht nach mehr Rationalität in der deutschen
Impfdebatte nichts mehr entgegensetzen. Im Gegenteil: Das merkwürdige
Signal, das mit der Abreise von Annalena Baerbock aus Brüssel an die
Nato, vor allem aber auch an die Menschen in der Ukraine gesandt wurde,
belegt nur ein weiteres Mal, mit wie viel Realitätsverlust große Teile
der Berliner Politik in Sachen Corona mittlerweile unterwegs sind.
Hatten Scholz und Lauterbach denn wirklich geglaubt, die Mehrheiten für
ihren Entwurf einer Impfpflicht ab 60 stünden auf Messers Schneide,
sodass am Ende tatsächlich jede Stimme hätte zählen müssen?
Man hat sich verfahren. Und das schon vor Zeiten. Fortgetragen von
einem Stimmungsjournalismus, der mit kritischer Berichterstattung über
das Für und Wider einer Covid-Impfpflicht kaum je etwas zu tun hatte,
hatten sich viele politische Entscheider in der eigenen Echokammer
verbarrikadiert. Eine Weltflucht mit Folgen: Denn egal, zu welchem Lager
man in der gestrigen Debatte auch tendierte, eines dürfte am Tag nach
diesem krachenden Regierungsdebakel klar sein: Die Abstimmung war nicht
nur ein x-beliebiges Votum über Deutschlands künftige
Vakzinierungsstrategie, sie war nichts Geringeres als das turbulente
Endspiel einer von vornerein vermasselten Pandemiebekämpfung im
politischen wie im medialen Raum. Was in den meisten anderen Ländern Europas längst realisiert
worden ist, das steht nun auch in Deutschland an: der Umstieg von der
epidemiologischen Steuerung des Covid-19-Geschehens auf eine
ausschließlich medizinische.
Der Gesundheitsminister diffamierte bis zum Schluss
Die Folge davon wäre nicht nur eine Normalisierung der Erkrankung,
vor allem wäre es das Ende von Angst und Aufmerksamkeit. Und wer
fürchtete dies derzeit mehr als „Medienminister“ Karl Lauterbach? Nur so
sind wohl noch die Diffamierungen und die wissenschaftlich halbgaren
Erkenntnisse zu erklären, mit denen der Gesundheitsminister bis zuletzt
gekämpft hatte. Der Eifer etwa, mit dem Lauterbach einige Tage vor der
Abstimmung unliebsame Wissenschaftler wie dem einstigen WHO-Virologen
Klaus Stöhr gegen das Schienenbein trat
(„In der Wissenschaft käme keiner auf die Idee, jetzt zu sagen, dass
Herr Stöhr ein Topvirologe ist und im Vergleich mit Herrn Drosten stehen
könnte.“), widersprach jeglichen akademischen Diskursgepflogenheiten –
von den demokratischen gar nicht zu reden. Und mit dem Ideal von
wissenschaftlicher Neutralität oder gar Objektivität hatte es schon gar
nichts zu tun.
Ohnehin ist es längst so, als hätten sich die Rollen vertauscht: Das
selbsternannte „Team Wissenschaft“, als dessen Klassensprecher der
Gesundheitsminister noch bis in die gestrigen Debatte hinein auftrat,
scheint sich besonders beim Thema Impfen mehr und mehr in
quasi-religiöse Dogmen verstrickt zu haben, als dass sie nüchterner
Erkenntnis und Evidenz folgen würde. Egal, ob es sich um die Themen Nebenwirkungen,
Impfquoten, Impfhäufigkeit oder sterile Immunität handelte: Allzu oft
präsentierten die Parteigänger des Ministers in den zurückliegenden
Wochen die Studienlage von gestern. Es wirkte daher fast schon wie eine
Farce, als der Gesundheitsminister am Ende seines Debattenbeitrags sein
„Gott mit uns“ beschwor, indem er darauf hinwies, dass angeblich die
„gesamte Wissenschaft der Welt“ es ähnlich sehe wie er.
Ein Sachverständigenausschuss wird die Corona-Maßnahmen evaluieren
Große Worte in Anbetracht der Tatsache, dass das nächste Debakel
schon vor der Tür steht: Bis Ende Juni nämlich soll ein
interdisziplinärer Sachverständigenausschuss die Wirksamkeit der im
Infektionsschutzgesetz festgelegten Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie evaluieren. Was dabei herauskommen wird, ist schon heute mehr
als naheliegend. Eine bereits im Februar 2022 publizierte Metaanalyse der Johns-Hopkins-Universität,
die sage und schreibe 18.000 weltweit erschienene Studien zu den Folgen
der Pandemie unter die Lupe nahm, kam bereits damals zu dem
ernüchternden Ergebnis, dass Lockdown-Maßnahmen nur einen geringen bis
gar keinen Einfluss auf die Sterblichkeit hatten.
Es müsste also schon mit dem Teufel zugehen, wenn eine ernsthafte
Evaluation der hiesigen Corona-Maßnahmen zu wesentlich anderen
Ergebnissen käme. Es gibt eben keinen deutschen Sonderweg – weder bei
der Maßnahmen, noch bei der Impfung. Höchste Zeit, dass das auch der
Gesundheitsminister endlich versteht. Und das möglichst schnell – oder
in seinen eigenen Worten: bevor es zu spät ist.
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