Politik im Panikmodus
VON CHRISTOPH SCHWENNICKE am 4. Mai 2020
Vieles
von dem, was in den letzten Jahren scheinbar plötzlich über uns kam,
war eigentlich absehbar. Die Politik hat es aber ignoriert und reagierte
jeweils mit Extrempolitik. Zeit, sich aus diesem Strudel des panischen
Populismus zu befreien.
Flüchtlingskrise, das Klima, Corona
- alle drei politischen Großereignisse der vergangenen Jahre, so
unterschiedlich sie thematisch sein mögen, eint eines: Jedesmal hat die
Politik extrem reagiert, ist in einen anderen Arbeitsmodus übergegangen.
Von einem besonnenen, abwägenden und strategischen Ansatz zu einem des
Aktionismus. Man kann auch sagen: der Panik.
Alles
andere tritt mit einem Mal in den Hintergrund. Nur eine Lesart zählt,
nur ein Weg geht scheinbar. Und diesen Weg weist oft eine einzelne
Figur. Heiße sie Greta Thunberg oder Christian Drosten.
Die politisch Handelnden werden zu „Getriebenen“, wie das der Kollege
Robin Alexander in seinem gleichnamigen und zuletzt schändlich schlecht
verfilmten Buch über die Flüchtlingskrise exemplarisch protokolliert
hat.
Gefühl der Ohnmacht
Warum
ist das so? Warum dieses neue Muster? Eine Gemeinsamkeit der drei
Ereignisse: Alle drei kamen über die Politik und die politisch
Handelnden wie eine höhere Macht, auch wenn man alle drei natürlich
länger hätte kommen sehen können. Mit einem Mal waren sie real da: Die
vielen hunderttausend Flüchtlinge, die Wetterextreme, das Virus. Einem
unmittelbaren Gefühl der Ohnmacht, wurde jeweils mit Extrempolitik
begegnet.
„Es
liegt nicht in unserer Macht, wie viele noch zu uns kommen“, sagte
Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 in der Hochphase der Flüchtlingskrise
und ließ die Grenzen offen. Beim Virus schottete sich Deutschland dann
doch ab - bis in kleinste Gebietskörperschaften hinein:
Mecklenburg-Vorpommern errichtete an seinen Grenzen Straßensperren, um
Hamburger und Berliner abzuwimmeln. Wildgewordene Landräte machen Jagd
auf Zweitwohnungsbesitzer.
Wer die Deutungshoheit gewinnt, der bestimmt
Allen
drei Ereignissen ist gemeinsam und zu eigen, dass die Politik vorher zu
lange die Hinweise darauf, dass da etwas Großes kommt, ignoriert hat.
Der Flüchtlingsstrom hatte sich angekündigt, der Klimawandel auch, und
für eine Pandemie hätte es eigentlich einen Plan und auch genügend
Masken für alle geben müssen. Jedesmal wurde die Politik auch wegen
vorheriger Ignoranz in den Aktionismus getrieben, den sie am Ende mit zu
verantworten hat.
Der
äußere Druck, die permanent sich verstärkende Macht der Bilder, die
Sekundenschnelle, in der sich, dem Hochfrequenzhandel an der Börse
ähnlich, die Botschaften über das weltweite Netz verbreiten, machen die
politischen Spielräume zusätzlich eng. Es gibt eine plausible
ökonomische Theorie, derzufolge im digitalen Zeitalter das „The winner
takes it all“-Prinzip des Kapitalismus ins Extrem getrieben wird. Das
Gleiche vollzieht sich politisch. Wer die Deutungshoheit gewinnt, der
bestimmt. Und wenn es ein 15jähriges Mädchen aus Schweden ist.
Viel verlangt
Politik
wird darüber geradezu in einen Populismus gedrängt. Exemplarisch kann
man das an der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
festmachen. Gerade noch hat sie einen 500-Milliarden-Euro-„Green Deal“
zur Klimarettung der Europäischen Union ausgerufen. Jetzt soll es das
Ganze im doppelten Maßstab als Marshall-Plan zur Rettung der
europäischen Wirtschaft in der Corona-Krise geben.
Große
Worte, große Zahlen, große Ohnmacht: Dieser Populismus spiegelt sich
auch in der unmittelbaren Reaktion der Politik auf die Corona-Seuche
wider: Der dosierte Shutdown in Deutschland war zu einem Gutteil ein
politisches Nachvollziehen dessen, was ohnehin schon Raum gegriffen
hatte und Raum gegriffen hätte. Vehement das fordern, was ohnehin kommt,
ist ein altes, probates, aber nicht eben ehrenwertes politisches
Verhaltensmuster. Und BDI-Präsident Dieter Kempf hat natürlich recht,
wenn er sagt, dass es leichter ist, einen Notaus-Knopf zu drücken, als
die Sicherung wieder reinzuschrauben.
Es
wäre zu wünschen, dass die Politik sich aus diesem Strudel des
panischen Populismus befreien würde. Das würde vor allem heißen: Mehr
Prävention, mehr Weitsicht und im akuten Fall mehr Besonnenheit. Das ist
sehr viel verlangt, vermutlich zu viel in einer Zeit der extremen
Ereignisse und noch extremeren Emotionen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen