Ein
welthistorisches Wochenende
Vereint gegen Rechts – das
Recht stört da nur, es bleibt auf der Demo-Strecke
Tausende von
Demonstranten haben uns befreit von einer Geisel, die uns tags zuvor noch fest
im Griff hatte. Quälende Fragen sind gelöst: Sollen wir Urlaub machen und wo?
Sollen wir Geburtstage feiern und Oma besuchen und wie verhalten wir uns bei
Beerdigungen?
imago/Stefan Zeitz
Ein
welthistorisches Wochenende liegt hinter uns. Wir sollten es uns dick im
Kalender anstreichen. Der Samstag geht als Tag der Befreiung in die Geschichte
ein. Ja, wir sind frei! Man kann einfach nur dankbar sein, das miterleben zu
dürfen. Dankbar unserer wunderbaren und fürsorglichen Bundesregierung,
natürlich den Kirchen, Vereinen, Unternehmern, Schulen, der Reisebranche, den
Restaurants und natürlich den völlig unabhängigen Medien — in gewisser Weise
auch der Polizei und vor allem die uns schützenden Virologen wie zum Beispiel
Herrn Drosten. Also allen, mit und unter denen wir leiden. Sie haben mit ihren
Maßnahmen übertrieben — besser als lebensgefährdend zu untertreiben. Da
riskiert man schon mal den Untergang der Wirtschaft. Jetzt haben sie aber ihre
Schuldigkeit getan.
Das ist
passiert: Wir wurden Zeugen von Massendemonstrationen, die ohne Höchstzahl und
Mindestabstand stattfinden durften. Wir sehen trauernde und mahnende Menschen,
relativ still und diszipliniert, teilweise gehen sie ein- und untergehakt,
dicht an dicht, Vire an Vire. Sie singen sogar, was in den Kirchen untersagt
war. Den Mundschutz hatte man wohl des Anlasses wegen weitgehend weggelassen.
Man wollte ja Gesicht zeigen, Gesicht gegen Rassismus, gegen Donald Trump,
gegen die USA, ja überhaupt gegen alles, was rechts von Claudia Roth und den
amerikanischen Demokraten steht. Denn auch unser Land scheint in einem Sumpf
von Rassismus und Fremdenhass zu versinken. Da hält man auch schon mal Händchen
wie auf Kirchentagen und bildet ein Band der Sympathie für (fast) alle
Verfolgten dieser Erde. Vereint gegen Rechts – das Recht stört da nur. Es
bleibt sozusagen auf der Demo-Strecke.
Ja, ich bin
dankbar den Tausenden von Demonstranten. Sie alle haben uns befreit von einer
Geißel, die uns tags zuvor noch fest im Griff hatte. Quälende Fragen sind
gelöst: Sollen wir Urlaub machen und wo? Sollen wir Geburtstage feiern und Oma
besuchen und wie verhalten wir uns bei Beerdigungen? Vermummt mit Masken gingen
wir zum Einkaufen, warteten geduldig an der frischen Luft, bis wir zum Betreten
von Geschäften, Gaststätten oder Behörden gnädig aufgerufen wurden, wuschen uns
natürlich permanent die Hände, hielten die Kinder gefangen und fern von
Freunden und Verwandten. Wir bestätigten uns gegenseitig unserer Hochmoral „Wir
sind doch nicht wie Schweden“, wir lobten die Herrschenden in allen möglichen
Umfragen für die strikten Verbote. Und wir verdammten all die Politiker und
Wissenschaftler, die es wagten, den schnellen Weg zur Normalität zu fordern.
Der ewige
Herr Lauterbach machte uns noch vor ein paar Tagen darauf aufmerksam, dass die
Schulen viel zu früh geöffnet wurden (der Drosten’sche Zahlensalat? Geschenkt!)
und wir wahrscheinlich erst 2022 wieder total normal sind. Wer jetzt
Restaurants oder Hotels aufsucht oder ein Kaufhaus, wähnt sich in einem meist
von männlichen Gouvernanten hochsicherheitsmäßig überwachten Irrenhaus. Da
macht weder das Essen noch das Einkaufen Spaß, auch das Reisen nicht. Aber das
ist nun seit dem historischen Samstag alles vorbei! Öffnet die Stadien! Beendet
die existenz-gefährdende Drangsal von Theatern, Kirchen, dem Gast- und
Hotelgewerbe! Wie hatten die armen Regierenden, die unser Land zum betreuten
Wohnen umgestalteten und demokratische Rechte außer Kraft setzten (alles
Lappalien angesichts einer Pandemie epochalen Ausmaßes) darum gerungen, wann
und wie die ersten „vorsichtigen eigenverantwortlichen Lockerungen“ zu wagen
seien. Ja, man schenkte uns dummem Volk sogar eigene Verantwortung – die sich
die Massendemonstranten dann auch so einfach genommen haben
Alles
vorbei! Klar, den bösen Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretikern und denen,
die so etwas Abartiges wie Meinungsfreiheit forderten, hatte man am Freitag im
Blick auf die anstehenden Märsche der abscheulichen „Corona-Pegida“ nochmals
vorgeworfen, durch diesen überflüssigen Demo-Schwachsinn die „zweite Welle“ zu
verursachen. Trotz Zahlenbeschränkung und Hygienemaßnahmen. Selbst renommierte
Kommentatoren sogenannter Qualitätszeitungen ritten auf dieser Welle und lobten
die rigide Haltung des Staates, das alles einzuschränken und zu überwachen.
Jede dieser Demos könnte epidemischen Schaden anrichten, hieß es warnend. Aber
das gilt selbstverständlich nicht für das anständige Deutschland — doch die
hielten vor lauter Anstand noch nicht einmal Abstand.
Ach so, und
dann waren da noch diese abstrusen pfingstkirchlichen Evangeliums-Baptisten,
die mit knapp 200 Leuten die Volksgesundheit gefährden, nur weil sie so etwas
Nebensächliches wie Gottesdienste meinten halten zu müssen und mit ihren
Großfamilien (igittigitt, manche haben über 10 Kinder) zu wandelnden Hotspots
werden. Das ZDF übrigens meldete das am Tag des infizierenden
Ungehorsams in seiner Hauptnachrichtensendung mit einem Hauch von Verachtung,
lieferte also den Kommentar in der Nachricht gleich mit. Direkt danach kam ein
Beitrag, wie vorbildlich doch die Muslime ihren Ramadan gefeiert hätten. Die
Platzierung war natürlich reiner Zufall. Klar, diese russlanddeutschen Christen
aus Frankfurt und Bremerhaven sind bestimmt Leute, die sich ähnlich wie der
irre Trump mit einer Bibel in der Hand und ohne Mundschutz fotografieren
lassen.
Das ist nun
alles vorbei! Wir sind befreit! Ein Wunder ist geschehen. Am Wochenende
demonstrierten Massen, ohne dass das Ordnungsamt mit dem Zollstock und die
Polizei mit Bußgeld-Block und Handschellen aufmarschierten. Die sind lieber bei
den Pleitefirmen für den letzten Sargnagel. Es gab auch keine Wasserwerfer, die
diese Frevler an unserer Gesundheit und Verursacher der „Zweiten Welle“
auseinandertrieben. Nichts! Im Gegenteil: Hunderte von Polizeibeamten sicherten
das verbotene Tun, während Laden- und Gasthaus-Besitzer mit horrenden Strafen
belegt werden, wenn der Abstand zwischen den Tischen nur Millimeter von der ach
so überlebenswichtigen Norm abweicht oder ein Kunde zu viel und zu eng im Laden
steht. Und wehe, man besucht Oma in der Isolationshaft namens Pflegeheim.
Doch seit
Samstag ist das ja alles beendet. Ganz offiziell. Das Land ist sozusagen
gesundgeschrieben. Die Gefährlichkeit von Corona hat es entweder nie gegeben
oder sie ist nun abrupt vorbei. Das muss der Staat aufgrund der Faktenlage ja
wissen (und hat es uns bisher nur fürsorglich verheimlicht), sonst wäre man
doch eingeschritten, um ein drohendes Massensterben zu verhindern. Andernfalls
wäre die Staatsgewalt ja eine Verbrecherorganisation, die nicht eingreift, wenn
das Leben eines jeden Bürgers in (Ansteckungs-) Gefahr ist. Besser kann man es
uns nicht sagen: Leute, lebt wieder normal, nehmt euch ein Beispiel an den
Demos.
Um es auf
den Punkt zu bringen: Die Politik hat uns entweder in den letzten Wochen an der
Nase herumgeführt und das Leben ohne Grund über Gebühr lahmgelegt. Oder sie hat
ihren Amtseid gröblichst verletzt und das Leben Hunderttausender auf dem
Gewissen, weil sie nicht vor diesen Demonstrationen gewarnt
(„#wirbleibenzuhause“ etc.) und eingegriffen hat. Sämtliche Demonstranten
müssten anhand des Bildmaterials sofort identifiziert und getestet und notfalls
in Quarantäne geschickt werden. Oder, und da ist der Laie und Nichtfachmann
(das griechische Wort dafür ist Idiotäs) überfragt und es müssten die Drostens
und Lauterbachs dieser Welt, also die unbestechlichen Experten, schnellstens
antworten, weil davon das Wohl und Wehe von Millionen abhängt – vor allem
derer, die „falsche Parteien wählen und den Verschwörungstheoretikern
hinterherlaufen“, oder um es im CDU-Jargon (Elmar Brok) zu sagen: der Abschaum
– denn denen muss man doch als steuerzahlenden Staatsbürgern die Chance geben,
sich neu zu orientieren, sich quasi zu bekehren. Weg von Rechts, hin zu den
Rechtsbrechern.
Denn es kann
ja sein, dass das Corona-Virus um die guten Menschen wie zum Beispiel
Antifaschisten (die SPD-Vorsitzende will ja jetzt auch unbedingt eine sein, die
CDU-mitgewählte Verfassungsrichterin in Schwerin ist ja schon eine) einen
weiten Bogen macht, sie quasi immun sind. Dann ginge in der Tat nur von diesen
Unbelehrbaren eine Gefahr aus, die auch diese Woche wieder für solche
Belanglosigkeiten wie Meinungsfreiheit auf die Straße gehen.
Wir hätten
es dann mit einem doppelten Wunder zu tun, und der offiziellen Heiligsprechung
der Kanzlerin stünde nichts mehr im Wege: Die Pandemie war urplötzlich ganz
ohne Impfstoff wie durch höhere Einwirkung mit dem Datum des welthistorischen
Samstags, 6. Juni 2020 beendet. Und das Virus hat sich jenseits
wissenschaftlicher Forschungen von selbst geoutet: Man muss bei einer Demo nur
das richtige (und keineswegs rechte!) Plakat hochhalten – und man braucht weder
Mundschutz noch Abstand.
Das hat ja
selbst der Bundesgesundheitsminister indirekt bestätigt – der sich übrigens
erst einen Tag nach diesem gegen alle Infektionsschutzgesetze verstoßenden
Rechtsbruch gemeldet hat – Spahn sagte, es sei ja schrecklich, in welche
Ansteckungsgefahr sich die Demonstranten begeben haben. Man fasst es nicht!
Richtig muss es doch heißen: Millionen von Menschen sind jetzt in Gefahr, weil
diese Gutmenschen sich bei ihrem Tun fahrlässig angesteckt haben könnten und
nun ihr gesamtes Umfeld infizieren.
Die
Regierenden haben jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Sie drangsalieren das
gemeine Volk, aber sehen (wie auch die einst kritischen Medien) tatenlos zu,
wie genehme Massenproteste unser aller Gesundheit zerstören können. Dabei haben
sie alle im Amtseid geschworen, „Schaden vom deutschen Volk zu wenden.“
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