- Der Sieg der Gentrifizierer über die Gentrifizierten
Dank ihres Höhenflugs werden die Grünen verklärt zur neuen linken
Erfolgspartei. Dabei handelt es sich nur um Verschiebungen innerhalb des
linken Milieus. In der neuen Grünen-Hochburg München lässt sich
erkennen, was das bedeutet
Nicht ohne meinen Latte Macchiato – das Lieblingsgetränk der Gentrifizierer / picture allian
Wer dem medialen Echo nachlauscht, das die Bayernwahl erzeugt
hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Glaubte man den Schlagzeilen
und Anmoderationen der deutschen Leitmedien der letzten Woche, konnte
man den Eindruck gewinnen, die Grünen stünden in München kurz vor der
Machtübernahme und hätten in einem historischen Sieg aus einem ehemals
konservativen ein grünes Bundesland gemacht.
Diese mediale Resonanz sagt viel über die deutschen Medien, aber
nichts über die Verhältnisse in Bayern. Denn die Grünen sind von einer
Machtübernahme im Maximilianeum mehr als weit entfernt. Die politische
Linke insgesamt (SPD, Grüne, Linke) kommt in Bayern zusammen auf etwa 30
Prozent der Stimmen. 59 Prozent der Wähler haben konservativ gewählt,
also CSU, Freie Wähler oder AfD. Von einem politischen Umschwung keine
Spur. Die angeblich so großartigen Gewinne der Grünen erweisen sich als
Verschiebungen im linken Lager.
Neue hedonistische Wohlfühllinke
Genau dieser Drift von Rot nach Grün aber ist symptomatisch. Und wenn
nichts alles täuscht, gibt er einen Vorgeschmack auf das, was in
Zukunft linke Politik sein wird: Die alte, sozialdemokratische Linke der
malochenden Handwerker und Industriearbeiter siecht dahin, es obsiegt
die hedonistische Wohlfühllinke mit Jobs im Dienstleistungssektor.
Zum Beispiel in München. Flankiert von schwarzen Stimmbezirken zieht
sich ein grünes Band durch die Landeshauptstadt. Von Moosach,
Milbertshofen und Schwabing im Norden über München-Mitte bis Giesing im
Süden. Nicht Berlin, Köln oder Hamburg ist plötzlich die grünste
Großstadt Deutschlands, sondern München. Ausgerechnet. Was ist da
passiert? Und vor allem: Was sagt uns das?
Eine Folge der Gentrifizierung
Zunächst scheinbar wenig: Denn das beste Wahlkreisergebnis in Bayern
haben die Christsozialen zu verantworten. Sie sind mit dafür
verantwortlich, dass der neue Wahlkreis 109 so zugeschnitten wurde, dass
möglichst viele nichtkonservative Wähler in ihm zusammengefasst wurden.
Der „109er“ war als Bauernopfer konzipiert. Mit beeindruckendem
Ergebnis: 42,5 Prozent für die Grünen in München Mitte. Wirklich
überraschen tut das niemand. Denn nirgendwo ist München
prenzelbergmäßiger als hier, rund um den Gärtnerplatz und in Haidhausen.
Auf eine einfache Formel gebracht: Der Erfolg der Grünen in München
ist eine Folge der Gentrifizierung. Deutlich wird das im nördlich von
Mitte gelegenen Wahlkreis 108 Schwabing. Hier dachte man schon immer
anders, freizügiger und vor allem links. Kaum ein Revolutionär der Kunst
oder der Politik, der hier nicht einmal gewohnt hat. Noch in den 2000er
Jahren war Schwabing SPD-Hochburg, eine rote Insel im schwarzen Meer.
Am vergangenen Sonntag holten die Grünen hier 34,9 Prozent. Die SPD fiel
von 32,7 auf 12,7 Prozent. Der Volkspartei ist das Volk
abhandengekommen.
Und das wird dauerhaft so bleiben. Denn Wahlen werden im Bauch
entschieden. Sie sind das Ergebnis eines Lebensgefühls. Das authentische
SPD-Gefühl aber gibt es nicht mehr. Wie sollte sich das in einer
postindustriellen Gesellschaft auch anfühlen? Stattdessen hat sich in
den gentrifizierten Vierteln der Großstädte, dort wo einst die
SPD-Klientel wohnte, das emanzipatorische Selbstverwirklichungsbürgertum
breitgemacht.
Spaßfeindliche Moral
Anders als die klassische Linke der alten SPD, die Konsumkritiker der
frühen Grünen, anders aber auch als das traditionelle Bürgertum wird in
diesem Milieu Moral und Haltung nicht als persönliche Askese und
Entsagung verstanden, im Gegenteil. Persönlicher Verzicht wird aus dem
eigenen Leben verbannt. Man lebt sich aus, man konsumiert: Erlebnisse,
Erfahrungen, Events. Grenzen gibt es tendenziell keine. Warum auch.
Dabei stört Moral erheblich, denn die ist tendenziell spaßfeindlich.
Deshalb wird sie auf das ganz hohe Schild gehoben – und so entsorgt.
Also ist man für Humanität, Toleranz und Offenheit, überhaupt für eine
bunte Gesellschaft. Das hat keine persönlichen Konsequenzen, fühlt sich
aber modern an.
Die Partei, die dieses Lebensgefühl geradezu inkarniert, sind die
Grünen. Sie sind die Gewinner der sozialen Umformungsprozesse der
vergangenen Jahrzehnte: Die Ablösung der SPD durch die Grünen als
Führungsmacht der politischen Linken ist somit nichts anderes als der
zynische Sieg der Gentrifizierer über die Gentrifizierten. Nächste Woche
einmal mehr zu bewundern in Hessen. Willkommen in der schönen neuen
Welt!
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