Sonntag, 21. Oktober 2018

Höhenflug der Grünen

       Höhenflug der Grünen - Der Sieg der Gentrifizierer über die Gentrifizierten


Dank ihres Höhenflugs werden die Grünen verklärt zur neuen linken Erfolgspartei. Dabei handelt es sich nur um Verschiebungen innerhalb des linken Milieus. In der neuen Grünen-Hochburg München lässt sich erkennen, was das bedeutet

Nicht ohne meinen Latte Macchiato – das Lieblingsgetränk der Gentrifizierer / picture allian
Wer dem medialen Echo nachlauscht, das die Bayernwahl erzeugt hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Glaubte man den Schlagzeilen und Anmoderationen der deutschen Leitmedien der letzten Woche, konnte man den Eindruck gewinnen, die Grünen stünden in München kurz vor der Machtübernahme und hätten in einem historischen Sieg aus einem ehemals konservativen ein grünes Bundesland gemacht.
Diese mediale Resonanz sagt viel über die deutschen Medien, aber nichts über die Verhältnisse in Bayern. Denn die Grünen sind von einer Machtübernahme im Maximilianeum mehr als weit entfernt. Die politische Linke insgesamt (SPD, Grüne, Linke) kommt in Bayern zusammen auf etwa 30 Prozent der Stimmen. 59 Prozent der Wähler haben konservativ gewählt, also CSU, Freie Wähler oder AfD. Von einem politischen Umschwung keine Spur. Die angeblich so großartigen Gewinne der Grünen erweisen sich als Verschiebungen im linken Lager.

Neue hedonistische Wohlfühllinke

Genau dieser Drift von Rot nach Grün aber ist symptomatisch. Und wenn nichts alles täuscht, gibt er einen Vorgeschmack auf das, was in Zukunft linke Politik sein wird: Die alte, sozialdemokratische Linke der malochenden Handwerker und Industriearbeiter siecht dahin, es obsiegt die hedonistische Wohlfühllinke mit Jobs im Dienstleistungssektor.
Zum Beispiel in München. Flankiert von schwarzen Stimmbezirken zieht sich ein grünes Band durch die Landeshauptstadt. Von Moosach, Milbertshofen und Schwabing im Norden über München-Mitte bis Giesing im Süden. Nicht Berlin, Köln oder Hamburg ist plötzlich die grünste Großstadt Deutschlands, sondern München. Ausgerechnet. Was ist da passiert? Und vor allem: Was sagt uns das?

Eine Folge der Gentrifizierung

Zunächst scheinbar wenig: Denn das beste Wahlkreisergebnis in Bayern haben die Christsozialen zu verantworten. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass der neue Wahlkreis 109 so zugeschnitten wurde, dass möglichst viele nichtkonservative Wähler in ihm zusammengefasst wurden. Der „109er“ war als Bauernopfer konzipiert. Mit beeindruckendem Ergebnis: 42,5 Prozent für die Grünen in München Mitte. Wirklich überraschen tut das niemand. Denn nirgendwo ist München prenzelbergmäßiger als hier, rund um den Gärtnerplatz und in Haidhausen.
Auf eine einfache Formel gebracht: Der Erfolg der Grünen in München ist eine Folge der Gentrifizierung. Deutlich wird das im nördlich von Mitte gelegenen Wahlkreis 108 Schwabing. Hier dachte man schon immer anders, freizügiger und vor allem links. Kaum ein Revolutionär der Kunst oder der Politik, der hier nicht einmal gewohnt hat. Noch in den 2000er Jahren war Schwabing SPD-Hochburg, eine rote Insel im schwarzen Meer. Am vergangenen Sonntag holten die Grünen hier 34,9 Prozent. Die SPD fiel von 32,7 auf 12,7 Prozent. Der Volkspartei ist das Volk abhandengekommen.
Und das wird dauerhaft so bleiben. Denn Wahlen werden im Bauch entschieden. Sie sind das Ergebnis eines Lebensgefühls. Das authentische SPD-Gefühl aber gibt es nicht mehr. Wie sollte sich das in einer postindustriellen Gesellschaft auch anfühlen? Stattdessen hat sich in den gentrifizierten Vierteln der Großstädte, dort wo einst die SPD-Klientel wohnte, das emanzipatorische Selbstverwirklichungsbürgertum breitgemacht.

Spaßfeindliche Moral

Anders als die klassische Linke der alten SPD, die Konsumkritiker der frühen Grünen, anders aber auch als das traditionelle Bürgertum wird in diesem Milieu Moral und Haltung nicht als persönliche Askese und Entsagung verstanden, im Gegenteil. Persönlicher Verzicht wird aus dem eigenen Leben verbannt. Man lebt sich aus, man konsumiert: Erlebnisse, Erfahrungen, Events. Grenzen gibt es tendenziell keine. Warum auch.
Dabei stört Moral erheblich, denn die ist tendenziell spaßfeindlich. Deshalb wird sie auf das ganz hohe Schild gehoben – und so entsorgt. Also ist man für Humanität, Toleranz und Offenheit, überhaupt für eine bunte Gesellschaft. Das hat keine persönlichen Konsequenzen, fühlt sich aber modern an.
Die Partei, die dieses Lebensgefühl geradezu inkarniert, sind die Grünen. Sie sind die Gewinner der sozialen Umformungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte: Die Ablösung der SPD durch die Grünen als Führungsmacht der politischen Linken ist somit nichts anderes als der zynische Sieg der Gentrifizierer über die Gentrifizierten. Nächste Woche einmal mehr zu bewundern in Hessen. Willkommen in der schönen neuen Welt!

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