Die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise erscheint vielen (und damit nicht nur mir) unglaubwürdig, weil grundsätzliche Vorbehalte gegen Merkels Grenzöffnung zu wenig Raum finden. Das kostet Glaubwürdigkeit, meint der Politredakteur der Welt, Ulrich Clauß, in seinem Leitartikel vom 05.11.2015.
Der Vorwurf ist nicht neu. Von jeher wird am politischen Rand verschwörungstheoretisch grundierte Pauschalkritik an "den Medien" geübt. Neu ist allerdings, dass fundamentale Vorbehalte gegen die Medien weit über den Kreis der üblichen Verdächtigen im links- und rechtsradikalen Sektor hinaus bis tief hinein in die bürgerliche Mitte Schatten werfen. Deutlich erkennbar war dies bereits bei der russischen Okkupation der Krim und Putins Infiltration der Ostukraine. Selbst noch nach dem Eingeständnis des Kremlherrn, mit Truppen und Material gegen die Ukraine zu ziehen, wollte die von russischen Infokriegern mit befeuerte Kritik an westlicher Berichterstattung darüber nicht verstummen.
In noch ganz anderer Größenordnung – und ganz ohne, dass der Kreml nachhilft – erscheint derzeit die Distanz weiter Bevölkerungskreise zur medialen Begleitung der Flüchtlingskrise. Laut einer aktuellen Erhebung des Allensbacher Instituts für Demoskopie sieht sich nur ein knappes Drittel der Bevölkerung in den Medien "ausgewogen" informiert, fast die Hälfte der Bevölkerung empfindet die Berichterstattung als "einseitig". Von denjenigen, die sich große Sorgen über die Entwicklung machen – und das ist in etwa die Hälfte der Bevölkerung –, bewerten sogar 55 Prozent die Berichterstattung in den Medien als "einseitig" im Sinne politischer Tabuisierung der Asylfrage. 43 Prozent der gesamten erwachsenen Bevölkerung Deutschlands haben darüber hinaus den Eindruck, "dass man in Deutschland seine Meinung zu der Flüchtlingssituation nicht frei äußern darf und sehr vorsichtig sein muss, was man sagt".Bei genauerer Betrachtung fallen zwei gegensätzliche Wahrnehmungen bei der Flüchtlingsfrage auf. Da ist zum einen die – am stärksten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – vorherrschende Lesart, die das Merkel-Mantra vom "Wir schaffen das" fraglos bejahend variiert. Freundlich gesprochen handelt es sich dabei um eine Art Gelingens-Berichterstattung. Probleme werden meist im Abstrakten belassen, Chancen dagegen konkret geschildert. Grundsätzliche Fragen werden, wenn überhaupt, im Spätabendprogramm gestellt. Das Bild vom zuwandernden Flüchtling ist geprägt von hilfreichen Ausschnitten – dem anrührenden Kinderschicksal und dem sprichwörtlichen syrischen Arzt, der schon morgen integriert sein könnte, wenn es "nicht so bürokratisch" zuginge. Demgegenüber bewegt große Teile des Publikums eher die Frage nach den Folgen unbegrenzter Zuwanderung von überwiegend unqualifizierten, zu einem Viertel analphabetischen jungen Männern, die bis auf Weiteres – samt nachziehender Familie – in der Sozialfürsorge landen.
Da sind zum anderen weit auseinander klaffende Sichtweisen auf den deutschen Flüchtlingssonderweg zwischen dem hierzulande gepflegten medialen Selbstbild im Gegensatz zu der Wahrnehmung unserer Nachbarn in der EU. Während hiesige Medien vielfach ein Bild von Deutschland in humanitärer Vorreiterrolle zeichnen, der über kurz oder lang alle anderen EU-Länder folgen sollten, herrscht im Ausland eine zumeist ratlose bis schroff ablehnende Haltung vor.
Diese Diskrepanz zwischen deutschem Selbst- und Fernbild wird allerdings frühestens mittelfristig vom deutschen Medienpublikum als dramatischer Verlust von deutscher Führungskompetenz realisiert werden. Dagegen dürfte die zwischen Medientenor und hiesigem Publikumsempfinden auseinander laufende Binnenwahrnehmung der Zuwanderungswellen in ihren Widersprüchen recht baldund plakativ erscheinen. Sei es die höchst unglaubwürdige – wenngleich weitgehend kritiklos aufgenommene – Versicherung der Kanzlerin, keine Steuern erhöhen zu wollen. Seien es die vielfältigen Folgen eines Bevölkerungszuwachses von rund zehn Millionen Menschen innerhalb der nächsten fünf Jahre (konservativ geschätzt, inklusive Familiennachzug). Eine wirklich ergebnisoffene Diskussion darüber steht aber vielfach unter geschichtspolitischem Generalverdacht.
Denn wer grundsätzliche Vorbehalte gegen die bisherige Asylpolitik der Bundesregierung hegt, muss fürchten, nicht "zu meinem Land" zu gehören, um ein Merkel-Wort zu bemühen – sprich: Er kann eigentlich gleich bei Pegida mitmarschieren. Wer sich das jedoch verbittet – wie etwa der SPD-nahe Historiker Heinrich August Winkler mit seiner Generalkritik am "uneinlösbaren" deutschen (und weltweit einzigartigen) Asylversprechen – muss sich außen vor fühlen. Wie eben auch etwa die Hälfte der Bevölkerung, jedenfalls laut den zitierten Umfragen – ohne auch nur annähernd angemessene Repräsentanz in den Medien zu finden. Die Medien haben sich offenbar in der Mehrheit, so der Eindruck, ohne Not in eine geschichtspolitische Falle manövriert. Sie stützen auch ihre nachrichtliche Lesart der Flüchtlingskrise auf das Merkelsche Axiom von der Unabänderlichkeit des deutschen Asylgrundrechtes. Wer daran rührt, sieht sich in die rechte Ecke gestellt. Wie könnte die SPD sich sonst dazu versteigen, jeden Versuch, staatliche Steuerungshoheit über das Grenzregime zurückzugewinnen, mit Lager-Metaphorik – "Willkommenshaft" (SPD-Fraktionschef Oppermann) – zu verteufeln?
So werden grundsätzliche Fragen tabuisiert, und die Wirklichkeit der Medien muss früher oder später mit der des Publikums hart kollidieren. Wenn dann der bislang noch vorherrschende Gelingenstenor auf die Mühen und Widersprüche unbegrenzter Zuwanderung trifft, wird es den Medien sehr schwer fallen, verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Und es könnten dann jene Ewiggestrigen noch lauter werden, die es schon immer gewusst haben. Der hochtrabende Anspruch der bedingungslosen Zuwanderungsbefürworter, aus der Geschichte gelernt zu haben, könnte sich im Ergebnis als pure Gegenwartsverleugnung erweisen. Manche werden das dann eine Lüge nennen.
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