Von Alexander Grau10. Oktober 2015 in "Cicero"
Kolumne Grauzone: Deutschland reibt sich gerade an der Flüchtlingsfrage auf. Aber weder Wut noch Angst noch Augenwischerei helfen uns weiter, sagt Alexander Grau. Er fordert eine größere Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und klare Regeln für Zuwanderung.
Deutschland wird sich verändern in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Die Fakten, die in den letzten Wochen geschaffen wurden, sind unumkehrbar. Man mag davon halten, was man will. Egal, ob wir 800.000 Einwanderer haben werden, 1,5 Millionen, wie Anfang dieser Woche kolportiert wurde, oder sehr viel mehr. Dieses Land wird ein anderes werden, da hilft weder naive Augenwischerei noch Wut, Heulen oder Zähneklappern.
Was Not tut, ist vor allem Ehrlichkeit uns selbst gegenüber. Dazu gehört ein nüchterner Blick in die jüngste Vergangenheit. Denn in der sind Fehler gemacht worden, massive Fehler. Und damit meine ich zunächst nicht die politischen Entscheidungen selbst, die in den letzten Wochen gefällt wurden, sondern die Art und Weise, wie sie zustande kamen.
Deutlich formuliert: Dass eine sich demokratisch bezeichnende Gesellschaft einfach vor Tatsachen solcher Tragweite gestellt wurde, ist – vorsichtig formuliert – hochproblematisch. Denn die Folgen für uns alle, egal, ob sie die öffentlichen Haushalte betreffen, die Sozialsysteme, den Wohnungsmarkt oder die innere Sicherheit, werden enorm sein. Über Fragen solcher Tragweite entscheidet man nicht qua Ukas.
Hausgemachte Radikalisierung
Dass eine Regierung zudem von einer Entwicklung überrannt wurde, vor der viele seit Monaten gewarnt haben, stellt den Beteiligten kein gutes Zeugnis aus. Vergleichbares darf sich nicht noch einmal wiederholen. Vorausschauendes Fahren ist nicht nur im Straßenverkehr sinnvoll.
Doch Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, ist das Eine. Mindestens ebenso dringend ist es, Einsichten für die Zukunft zu gewinnen. Hier muss pragmatisch Zwischenbilanz gezogen werden. Was also wird auf uns zukommen?
Wenn nicht alles täuscht, wird sich Deutschland politisch radikalisieren. Schon jetzt stehen sich Verfechter einer weiteren Multikulturalisierung und jene unerbittlich gegenüber, denen das alles schon lange viel zu weit geht. Das Klima wird rauer werden, und dieses raue Klima wird die Mitte der Gesellschaft erreichen, vermutlich hat es sie schon erreicht. Damit ist die politische Stabilität, die sowohl die Lebensqualität in Deutschland als auch den Wirtschaftsstandort immer ausgezeichnet hat, in Gefahr. Beide Lager sollten sich umgehend von der Idee verabschieden, die „eigentliche“ oder „schweigende“ Mehrheit zu repräsentieren. Sie tun es nicht.
Zu der hausgemachten Radikalisierung kommt eine importierte. Deutschland wird infolge der Einwanderung patriarchaler werden, sexistischer, homophober und antisemitischer. Die Frage ist nicht, ob das so sein wird, sondern lediglich, in welchem Umfang.
Hilfe muss an Regeln und Bedingungen gebunden sein
Dass die Befürworter einer möglichst offenen Einwanderungskultur genau jenen Ungeist massenhaft ins Land lassen, den sie an anderer Stelle mit großem Eifer bekämpfen, könnte man als Scherz begreifen, wenn die Sache nicht so traurig wäre. Doch das nur nebenbei.
Zu der Ehrlichkeit, die wir dringend nötig haben, gehört deshalb auch, anzuerkennen, dass zurzeit überwiegend junge Männer mit schlechter Ausbildung in unser Land einwandern, die einer antiliberalen, autoritären, gewaltaffinen und von Antisemitismus geprägten Kultur entstammen. Diese zu integrieren, wird eine Mammutaufgabe sein, die mit Laissez-faire nicht zu leisten ist. Die Hilfe der deutschen Gesellschaft darf daher nicht voraussetzungslos erfolgen. Sie muss an Regeln und Bedingungen gebunden sein.
Doch um klare Regeln aufzustellen und diese auch durchzusetzen, bedarf es Realitätssinn und Selbstbewusstsein. Das letzte, was wir daher brauchen, sind naive Traumtänzereien oder Resignation. Hier wird nicht das Multikultiparadies entstehen. Vielmehr geht es um Schadensbegrenzung. Die aber muss man umgehend in Angriff nehmen.
Aus diesem Grund brauchen wir klare rechtliche Einwanderungsregeln. Und die müssen sich angesichts des Umfangs der Flüchtlingsströme selektiv an den legitimen wirtschaftlichen und sozialen Interessen der deutschen Gesellschaft orientieren.
Arbeitsverbote für Flüchtlinge aufheben
Entsprechende Regelungen sind auch deshalb so dringlich, weil wir uns von der Idee verabschieden sollten, die in den letzten Wochen eingewanderten Flüchtlinge würden irgendwann in nennenswertem Umfang ausgewiesen. Das ist weltfremd.
Da eine große Anzahl der Einwanderer ungelernt oder schlecht ausgebildet ist, muss mit Hilfe massiver schulischer und betrieblicher Ausbildungsprogramme verhindert werden, dass Milieus entstehen, die dauerhaft von sozialstaatlicher Zuwendung abhängen – und sich in Nischengesellschaften einrichten. Dazu gehört auch, Arbeitsverbote für Flüchtlinge aufzuheben und den gesetzlichen Mindestlohn partiell auszusetzen.
Und schließlich gilt: Wir waren nie eine homogene Gesellschaft, wir werden auch keine mehr werden. Doch gerade deshalb sind kulturelle Traditionen so wichtig. Denn die Anstrengungen, die auf Deutschland zukommen, sind nur dann zu bewältigen, wenn man beides schafft: sich als offene, pluralistische Gesellschaft zu verstehen und zugleich die eigene kulturelle Tradition als Voraussetzung gelingender Integration zu begreifen.
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