Kritik an Flüchtlingspolitik: Spott über Berlin
11.10.2015, von Jochen Buchsteiner, London in FAZ Politischer Korrespondent in London.
11.10.2015, von Jochen Buchsteiner, London in FAZ Politischer Korrespondent in London.
In Großbritannien müssen sich
Verteidiger der deutschen Flüchtlingspolitik beißenden Spott gefallen
lassen. Die Kritik bleibt jedoch im Inneren, da London die Unterstützung
der Kanzlerin für ein anderes Vorhaben braucht.
Während David Cameron die Bundeskanzlerin auf seinem Landsitz in Chequers unter klandestinen Umständen traf, begann in der „Locarno-Suite“ des Londoner Außenministeriums eine Konferenz, die eine Menge über die Dissonanz im deutsch-britischen Verhältnis erzählte.
Erstaunlicherweise waren es nicht nur die Briten, die ihren Kopf über die gegenwärtige Flüchtlingspolitik in Berlin schüttelten, sondern auch die Franzosen. Eingeladen hatte der „Club of Three“, eine von dem deutsch-britischen Verleger Lord Weidenfeld ins Leben gerufene Konferenz, die seit fast zwanzig Jahren „Männer und Frauen mit Einfluss“ aus den drei größten Ländern Europas versammelt, darunter Abgeordnete, ehemalige Minister und Behördenchefs. Die „Chatham House Rules“, nach denen Zitate nach außen getragen, nicht aber persönlich zugeordnet werden dürfen, ermöglichen naturgemäß eine freiere Rede – aber dass sie so frei ausfallen würde, verblüffte selbst erfahrene Konferenzteilnehmer.
Während David Cameron die Bundeskanzlerin auf seinem Landsitz in Chequers unter klandestinen Umständen traf, begann in der „Locarno-Suite“ des Londoner Außenministeriums eine Konferenz, die eine Menge über die Dissonanz im deutsch-britischen Verhältnis erzählte.
Erstaunlicherweise waren es nicht nur die Briten, die ihren Kopf über die gegenwärtige Flüchtlingspolitik in Berlin schüttelten, sondern auch die Franzosen. Eingeladen hatte der „Club of Three“, eine von dem deutsch-britischen Verleger Lord Weidenfeld ins Leben gerufene Konferenz, die seit fast zwanzig Jahren „Männer und Frauen mit Einfluss“ aus den drei größten Ländern Europas versammelt, darunter Abgeordnete, ehemalige Minister und Behördenchefs. Die „Chatham House Rules“, nach denen Zitate nach außen getragen, nicht aber persönlich zugeordnet werden dürfen, ermöglichen naturgemäß eine freiere Rede – aber dass sie so frei ausfallen würde, verblüffte selbst erfahrene Konferenzteilnehmer.
Die Deutschen, die die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel
in der Flüchtlingspolitik verteidigten, wurden verspottet. Auf
besonderes Staunen bei Briten wie Franzosen traf das neue Berliner
Verständnis staatlicher Souveränität. „Es gibt keine Grenzen mehr“, hieß
es kurz und bündig von deutscher Seite. Wenn dies wirklich Ernst
gemeint sei, sagte ein Teilnehmer aus Frankreich, „dann gehe ich jetzt
zurück nach Paris, sage, dass die deutsche Regierung eine Meise hat, und
fordere die Wiedererrichtung der Grenze zwischen unseren beiden
Ländern“. Die Verwirrung über den Berliner Kurs nahm noch zu, als von
deutscher Seite erklärt wurde: „Schengen ist Vergangenheit.“
Bis in die Wortwahl hinein hallte es aus
dem Kanzleramt wider: „Es gab keine Alternative dazu, die Grenzen zu
öffnen.“ So wie der globalisierte Kapitalverkehr keine Grenzen mehr
kenne, seien sie nun auch für die Migrationsströme gefallen: „Um es klar
zu sagen: Es gibt keine Lösung des Problems.“ Eine derartige Preisgabe
politischer Gestaltungsfähigkeit musste auf das britische Höchstmaß an
Verachtung stoßen: „Wenn Politiker sagen, es gebe keine Lösungen, müssen
sich alle Sorgen machen, die an eine gute Regierungsarbeit glauben“,
hieß es kühl. Pragmatisch, wie die Briten nun mal seien, gehe man davon
aus, dass sich grundsätzlich Lösungen für Probleme finden lassen.
„Riesige Mengen von Menschen aufnehmen, löst das Problem ganz sicher
nicht.“
Die konservative Regierung Cameron lässt
aus Prinzip keine Flüchtlinge und Migranten ins Land, die sich bis
Europa durchgeschlagen haben, weil sie befürchtet, dass dies weitere
Menschen zum Aufbruch ermuntert. Kritik, die ihr dafür vom europäischen
Kontinent entgegenschlägt, speziell von der „neuen moralischen Macht“
Deutschland, wird mit einer Prise Ungehaltenheit zurückgewiesen: „Wir
wollen nicht belehrt werden.“ Es möge ja sein, dass es sich „moralisch
besser anfühlt“, wenn man viele Migranten aufnimmt – „aber wo liegt die
Moral einer Politik, die Millionen von Menschen nach Europa lockt, um
sie dann zu enttäuschen, weil sie nicht absorbiert werden können?“
Kampagnen für und gegen EU-Verbleib beginnen
Jenseits der offiziellen Reden und
Wortgefechte, in den Gesprächen am Rande, schlug das Unverständnis über
die Bundesregierung bisweilen in Sarkasmus um. Natürlich freue man sich
in Frankreich, dass nun alle Flüchtlinge nach Deutschland weiter zögen,
sagte ein Teilnehmer, „aber ein bisschen trifft es uns schon, dass wir
als Land jetzt so viel unattraktiverer zu ein scheinen als Deutschland“.
Verwundert und zum Teil bestürzt äußerten sich auch deutsche
Konferenzteilnehmer über den Kurs der Kanzlerin und ihrer (wenigen)
Vertreter und Sympathisanten auf der Konferenz. „Verantwortungslos“ und
„naiv“ gehörte zu den freundlicheren Charakterisierungen der Berliner
Flüchtlingspolitik.
Dass sich die Kritik der britischen
Regierung bislang auf Konferenzen beschränkt und nicht auf offener Bühne
geübt wird, liegt an der britischen Innenpolitik. In dieser Woche
beginnen im Vereinigten Königreich die Kampagnen für und gegen einen
Verbleib in der EU. Cameron möchte schon beim Europäischen Rat im
Dezember seine Reformforderungen gegenüber Brüssel durchsetzen. Nach den
Plänen des Londoner Außenministeriums würde das Referendumsgesetz noch
vor Weihnachten durch das Unterhaus gebracht und die Volksabstimmung bis
spätestens Herbst angesetzt werden.
Dafür braucht London Berlin. Cameron
sieht seine Aufgabe darin, die britischen Forderungen so
zurechtzuschneiden, dass sie im Königreich kühn und weitreichend
erscheinen, zugleich aber in Brüssel durchsetzbar sind. Für derartige
taktische Fragen galt Merkel immer als hilfreiche Ratgeberin; aus
Downing Street hieß es am Sonntag, das Gespräch in Chequers sei „gut
gelaufen“. Viel mehr drang allerdings nicht nach draußen. Indes ist auch
Cameron nicht verborgen geblieben, dass die Kritik an Merkel in
Deutschland vernehmbarer wird.
Quelle: F.A.Z.
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