- Gute Hetze, böse Hetze (CICERO)
VON ALEXANDER MARGUIER am 23. Januar 2021In einem Gespräch mit dem „Spiegel“ lässt der Virologe und Regierungsberater Christian Drosten zu, dass zwei seiner Kollegen von den Interviewerinnen diffamiert werden. Der Fall zeigt allzu deutlich, mit welchen Bandagen inzwischen im Streit um die Deutungshoheit gekämpft wird.
Dass die Corona-Krise umso mehr Furor stiftet, je länger sie andauert, ist inzwischen Gewissheit. Das hat sich im Spätsommer bei so mancher Querdenker-Kundgebung gezeigt, und es manifestiert sich täglich, stündlich, minütlich auf den Kanälen von Social Media. Wer Hass sucht, wird im Internet genug davon finden. Allerdings nicht nur bei den sogenannten Covidioten, sondern auch im entgegengesetzten Lager. Also bei jenen, die möglichst lange, möglichst harte Lockdowns für die Lösung aller Probleme halten, sich dabei auf die reine Wissenschaft berufen (zumindest auf den ihnen genehmen Ausschnitt daraus) - und jede anderslautende Meinung, sei sie auch noch so vernünftig begründet, als Scharlatanerie abtun. Man könnte hier geradezu von einer Demagogie des Corona-Mainstreams sprechen.
Ein besonders hässliches Beispiel für Diffamierung in Corona-Zeiten ist in einem aktuellen Spiegel-Interview mit dem Berliner Regierungs-Virologen Christian Drosten nachzulesen. Drosten lässt bei dieser Gelegenheit zunächst die vergangenen Monate Revue passieren, spricht über die britische Virus-Mutation und malt ansonsten ein eher düsteres Bild der bevorstehenden Wochen und Monate (was selbstverständlich sein gutes Recht ist, wenn er aufgrund seiner Forschungsarbeit zu entsprechenden Erkenntnissen gelangt).
Anhimmelnder Ton
Frappierend ist allerdings schon in der ersten Hälfte dieses Gesprächs der geradezu anhimmelnd-unterwürfige Ton, den die beiden Spiegel-Journalistinnen Drosten gegenüber an den Tag legen. „Wie schaffen Sie es eigentlich, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen“, lautet etwa eine der Fragen, nachdem ihrem Gegenüber offenbar kurz der Faden gerissen war - was im Interview einigermaßen dramatisch mit der Regieanweisung „hält inne, pausiert“ deutlich gemacht wird. Ob solcherlei Regungen auch in Interviews mit weniger bewunderten Gesprächspartnern ausdrücklich festgehalten würden, darf bezweifelt werden. Aber lassen wir das.
Den absoluten Tiefpunkt des Gesprächs erreichen die beiden Spiegel-Kolleginnen mit einer Frage, von der ich zuerst tatsächlich dachte, es handele sich um ein Fake. Aber was ich zunächst nur als einen Ausschnitt mitbekommen hatte, steht so tatsächlich wortwörtlich im Spiegel: „Einen größeren Schaden als Corona-Leugner haben im vergangenen Jahr wohl Experten angerichtet, die immer wieder gegen wissenschaftlich begründete Maßnahmen argumentiert haben, zum Beispiel Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck.“
Damit, wie gesagt, wird die Frage eingeläutet, wann Drosten angesichts solcher Unpersonen der Kragen platze. Nur für alle, die es noch nicht mitbekommen haben sollten: Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn (und in dieser Funktion Drostens Nachfolger). Schmidt-Chanasit wiederum ist Professor für Virologie am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Fachmann für neu auftretende Infektionskrankheiten. Das also sind die zwei namentlich als abschreckende Beispiele genannten Scharlatane, wegen denen Drosten der Kragen platzen müsste. Zumindest wenn es nach dem Spiegel geht.
Die Namen stehen im Raum
Eigentlich hätte Christian Drosten an dieser Stelle das Interview abbrechen müssen. Denn wer solche Fragen stellt, ist eindeutig nicht an Erkenntnisgewinn interessiert, sondern lediglich an professoraler Affirmation. Stattdessen lautet seine Antwort: „Wollen Sie, dass ich jetzt Kollegen namentlich kritisiere? Ich halte nichts davon, ad personam zu gehen.“ Doch da stehen die beiden Namen ja bereits im Raum. Und Drosten macht nicht die geringsten Anstalten, seine beiden Kollegen gegenüber den Spiegel-Journalistinnen (und somit gegenüber einer großen Öffentlichkeit) vom Vorwurf der Unseriosität zu verteidigen. Im Gegenteil: Was folgt, ist ein längeres Lamento über „Gegenmeinungen“, die „nicht auf Fakten beruhen“ sowie über unfaire Attacken beim Kampf um die Deutungshoheit in Sachen Corona.
Der Subtext ist völlig klar: Drosten lässt die als Frage getarnte Diffamierung von Streeck und Schmidt-Chanasit nicht nur unwidersprochen durchgehen, er bestätigt sie auch noch implizit.
Wenn wir es mit Sportjournalismus zu tun hätten, könnte man solch ein Interview vielleicht noch als folkloristische Verirrung zweier Reporterinnen abtun, die ihren Beruf nicht von der Leidenschaft für einen bestimmten Fußballspieler trennen können. Aber hier geht es eben nicht um ambitioniertes Freizeitvergnügen, sondern um die Rolle von Wissenschaft inmitten einer Pandemie. Und zwar einer Pandemie, in der einzelnen Fachleuten wie Christian Drosten, an dessen Expertise gewiss kein Zweifel herrscht, keinesfalls die alleinige Deutungshoheit überlassen werden sollte.
Vertrauensverlust wegen Einseitigkeit
Dass insbesondere die Bundeskanzlerin es vermocht hat, durch ihre Fixiertheit auf den Charité-Virologen den Eindruck zu erwecken, die Regierung werde einseitig beraten, hat übrigens zu dem enormen Vertrauensverlust beigetragen, der derzeit im Land fast heftiger wütet als das Virus. Und dass der Spiegel sich auch noch mit devoten Suggestiv-Fragen vor diesen Karren spannen lässt und sich dabei wie ein staatstreues DDR-Medium anhört, verschlimmert die ganze Sache umso mehr.
Wer derart eindeutig und geradezu heimtückisch Partei ergreift, rechnet offenbar nicht einmal ansatzweise damit, dass sich halbwegs kritische Leser für dumm verkauft fühlen könnten. Zu groß ist die Selbstgewissheit hinsichtlich des eigenen Mediums, der eigenen Meinung, der eigenen (und nicht zu hinterfragenden) Präferenz für bestimmte Experten. So ruiniert man den Ruf einer ganzen Branche. Es sollte niemand behaupten, Kampagnen-Journalismus sei dem Boulevard vorbehalten.
Hendrik Streeck, der vermeintliche Scharlatan, äußert sich an diesem Samstag übrigens in einem Interview mit der FAZ ebenfalls zur aktuellen Corona-Lage. Dass weder er noch der ihn befragende Journalist die geradezu frivole Selbstgefälligkeit Drostens und seiner beiden Hagiographinnen vom Spiegel an den Tag legen, ist nicht nur dem Sujet angemessen, sondern regelrecht wohltuend. Ein Satz Streecks aus diesem lesenswerten Gespräch sei hier aber besonders hervorgehoben. Seine Feststellung nämlich, dass „im Moment etwas in Schieflage geraten“ sei in der öffentlichen Pandemie-Debatte, weil bei den Argumenten „zwischen ,gut und richtig’ und ,böse und falsch’ unterschieden wird“.
Wer aus Sicht ausgerechnet sogenannter Wissenschaftsjournalistinnen vom Spiegel die Rolle des Bösewichts innehat, dürfte inzwischen klar sein. Seriös ist das nicht. Sondern eher Hetze.