ARD-Themenwoche „Wie wollen wir leben?“
Volkspädagogik im Mantel der Tiefsinnigkeit
KOLUMNE: GRAUZONE VON ALEXANDER GRAU am 21. November 2020
„Wie wollen
wir leben?“, will die diesjährige ARD-Themenwoche wissen. Unter dem Deckmantel
der vermeintlich offenen Frage lauert Erziehungsjournalismus, der an
ernsthafter Analyse kaum interessiert ist.
Autoreninfo
Alexander
Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur-
und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust
an der Empörung“ und „Kulturpessimismus. Ein Plädoyer". Zuletzt erschien
von ihm „Politischer Kitsch. Eine deutsche Spezialität“ bei Claudius.
Alle Jahre wieder kommt – nein, nicht das Christkind, sondern die ARD-Themenwoche. Anfangs ohne festen Termin, verordnen sich seit acht Jahren die Sendeanstalten der ARD pünktlich zum November einen gemeinsamen Themenschwerpunkt, der – passend zur Jahreszeit – tiefschürfend und gedankenschwer daherkommt.
Nach Glaube, Gerechtigkeit und Bildung widmet man sich in diesem Jahr angesichts von Corona und anderen Katastrophen der Frage: „Wie wollen wir leben?“ Zugegeben: Schwierige Frage, wenn auch nicht ganz neu. Über das gute und richtige Leben machen sich Philosophen Gedanken, seit sie ihre Profession erfunden haben. Die Antworten pendeln dabei traditionell zwischen dem Aufruf zur Askese, Ermunterung zum epikureischen Genüssen oder irgendwas in der Mitte. Da verliert man leicht die Orientierung.
Wir sind eins
Aber zum Glück gibt es die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland. Und die weiß, wo es langgeht: Billiger Individualismus oder gar ordinärer Hedonismus sind hier von vornherein verpönt. Bei der ARD denkt man selbstredend sozial, achtsam und verantwortlich. Das „Wir“ nach dessen Leben die Themenwoche fragt, ist daher keine Ansammlung von „Ichs“, sondern ein Kollektiv, das bestimmt, wie der Einzelne zu leben hat. Das macht schon der Teaser deutlich, mit dem die Sendeanstalten für ihr Projekt werben.
In erlesenstem Jargon der Engagierten und Problembewussten heißt es da, die Corona-Krise könne eine „neue Sensibilität für Zukunftsfragen“ schaffen, verdeutlichen, „was Globalisierung bedeutet“ und zeigen wie sehr wir „gemeinsam verantwortlich sind“: „Auf dem Weg aus der Krise geht es nun darum, Konsequenzen zu ziehen und Weichen zu stellen.“ Diese skrupellose Aneinanderreihung erbaulicher Textbausteine macht deutlich, worum es hier eigentlich geht: nicht um Diskussion oder Widerstreit, sondern um die Verkündung von Antworten.
Nicht wollen, sondern sollen
Die eigentliche Botschaft der Themenwoche ist nicht die Frage, wie wir leben wollen, sondern die unmissverständliche Aufforderung, wie wir leben sollen. Nämlich so, wie man sich das unter den Anhängern von Annalena und Robert vorstellt: nachhaltig, „woke“ und schuldbewusst.
Damit diese wenig subtile Botschaft nicht allzu autoritär daherkommt und der flauschige Eindruck von Bürgernähe entsteht („Wir sind Deins“), darf natürlich die obligatorische Umfrage nicht fehlen. Die ist zielgruppengenau justiert und richtet sich schon sprachlich („Kann es Fashion ohne Victims geben?“) an die entsprechende Klientel. Wenig überraschend sind daher die Ergebnisse (Stand Freitagmittag): So stimmen 92 Prozent dafür, dass umweltschädliches Handeln etwas kostet, 56 Prozent sind der Meinung, dass Essen keine Privatsache, sondern politisch ist und 84 Prozent denken, dass Klima vor Selbstverwirklichung geht.
Den Gipfel der Infantilität erreicht die ARD aber mit dem zeitgeistig „7Tage7Fragen“ genannten Format. Besagte Fragen lauten etwa: Was ist wichtiger, eigene Kinder oder die Ressourcen der Erde? Würdest Du für immer auf Urlaub verzichten, wenn Du so 12 Eisbären retten könntest? Nie mehr neue Klamotten kaufen oder Auto fahren? – Manche Antworten sind sogar ganz lustig. Die pädagogische Botschaft aber unmissverständlich: Kinder belasten die Umwelt, ebenso Flugreisen, Autos und Konsum.
Pädagogik statt Analyse
Das alles ist ja sogar richtig. Nur: Hier gehen die Probleme erst los. Doch an ernsthafter und kontroverser Analyse solch komplexer Probleme ist man bei der ARD nur dem Anschein nach interessiert. Viel wichtiger ist die gelungene Volkspädagogik: knallharte Politlinie, lustig-flauschig verpackt für die Generation Luisa Neubauer.
Vor zwei Wochen veröffentlichte das Branchenmagazin „Journalist“ eine (nicht repräsentative) Umfrage unter Volontären der ARD. Befragt nach deren parteipolitischen Präferenzen kamen dort Rot-Rot-Grün auf einen Stimmenanteil von 92 Prozent. 57,1 Prozent votieren für die Grünen, 23,4 Prozent für die Linkspartei, 11,7 Prozent für die SPD. Von Diversity und Vielfalt keine Spur. Wohin diese ideologische Monokultur führt, dokumentiert die diesjährige Themenwoche ganz ausgezeichnet.
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