Auf dem Gipfel deutscher Schizophrenie
Am letzten Tag des Jahres 2018 ging ich durch die
Kölner Innenstadt, die sich gerade für die Silvesterfeierlichkeiten
rüstete. Es war eben jene Innenstadt, die letztmalig international für
Aufsehen sorgte, als eine Kompanie Deutschen- und Frauenhasser am
Silvesterabend 2015 den Dom pünktlich zur 18 Uhr Messe völlig
ungehindert mit Böllern und Feuerwerk beschießen und wenige Stunden
später die öffentlichen Feierlichkeiten auf der Domplatte in einen
Spießrutenlauf aus Raub und Vergewaltigung für Frauen und ihre Begleiter
umfunktionieren konnte. Wenn es nach dem WDR und dem Spiegel
gegangen wäre, würden wir bis heute über diese kleinen Unpässlichkeiten
gar nichts erfahren haben, denn die gab es immer schon, und bekanntlich
ist auch das Oktoberfest nichts anderes als eine fortwährende
Vergewaltigungssause.
Am 31. Dezember 2018, also drei Jahre später, hat sich
die Kölner Innenstadt zu einer Hochsicherheitszone verwandelt. Überall
stehen Einlasstore und schwere Metallzäune, die pünktlich zu den
Feierlichkeiten den Bereich um die Domplatte in eine Art Staatsbesuch
für Erdogan verwandeln werden. Schusssichere Westen und
Riesen-Polizeiaufgebot inklusive. Noch nie war öffentliches Feiern so
angespannt und gemeingefährlich wie heute in diesem Land, in dem wir gut
und gerne leben. Von Betonpoller-bewährten Weihnachtsmärkten, über
Hochsicherheits-Silvesterfeiern bis zu Bürgerkriegs-schutzbedürftigen
Karnevals- und Faschingsumzügen rüstet sich Deutschland allenthalben auf
und badet aus, was Grenzschutz einst und weiterhin versäumte.
Ich bin mir über die richtige Begrifflichkeit noch
immer nicht im Klaren. Ist es der Zeitgeist der Postmoderne, der in Form
von unauflösbaren Paradoxien die Menschen, die Sicherheit und
Eindeutigkeit als etwas Erstrebenswertes betrachten, in den Irrsinn
treibt? Oder ist es der berühmt-berüchtigte Neoliberalismus, der die
globalistischen Wirtschaftsinteressen so gekonnt mit grün-moralischer
Einschüchterungspolitik verbindet, dass am Ende der Irrsinn als neue
Normalität erscheint? Vielleicht sind sich Postmoderne und
Neoliberalismus in ihrem Zynismus auch viel ähnlicher, als ich es je für
möglich gehalten habe.
All überall mit Maschinengewehren bewachte Grenzen im
Innern des Landes aufbauen zu müssen, weil die Regierung sich standhaft
weigert, die Landesgrenzen zu schützen, war ja so vorhersehbar, wie es
von der herrschenden Klasse vielleicht eingeplant war. So hat man die
eigene Bevölkerung im halbmilitärischen Würgegriff und braucht für
irgendwelche Silvesterfeuerwerksverbote gar nicht mehr die Deutsche
Umwelthilfe zu bemühen. Das macht die Angst vor bürgerkriegsartigen
Zustanden ganz von selbst, wie ebenfalls die Stadt Köln beweist, die für
die gesamte Innenstadt an Silvester 2018 ein Feuerwerksverbot erlassen
hat. Das freundliche Gesicht fürs große Fremde führt halt zur
erpresserischen Fratze im kleinen Eigenen.
Das große Fremde als Züchtigung für das dumme Eigene
Die Paradoxien ziehen sich inzwischen durchs ganze
Land. Wenn ein Mensch auf einem öffentlichen Straßenfest von einem
Ausländer erstochen wird und es im Zuge von Demonstrationen auch zu
Pöbeleien gegen eben solche kommt, stellt sich der Sprecher der
Bundesregierung am nächsten Tag hin und prangert sogenannte Hetzjagden
von Rechten an, was seine Vorgesetzte, Angela Merkel, dann am nächsten
Tag nochmals eindringlich wiederholt. Im Gegenzug konnte man darauf
wetten, dass eine wirkliche Hetzjagd,
die von "Geflüchteten" ausgeht, sich über mehrere Stunden in der
Amberger Innenstadt vollzieht und fast ein Dutzend Verletzte
zurücklässt, von eben derselben Bundeskanzlerin bei der
Neujahrsansprache ganz sicher keine Erwähnung findet. Denn das große
Fremde dient der Bundeskanzlerin nur als Züchtigungspotential für das
dumme Eigene.
Seit 2015 sind mehr als zwei Millionen Fremde über das
Asylsystem ins Land gekommen. Für die herrschende Klasse sind sie das
Werkzeug, mit dem man die aufmüpfige Bevölkerung moralisch in Schach
halten kann, gleichzeitig dienen sie dazu, die schlecht bezahlten Jobs
keiner besseren Bezahlung zuführen zu müssen. Indem man einfach ein
neues Prekariatsheer ins Land lässt, das weder sozial noch ökonomisch
verwurzelt ist, kann man das einheimische Prekariat wunderbar
erniedrigen und vor sich hertreiben. Die soziale Kälte, die sich
universell und globalistisch geriert, geht dabei mit einer rigorosen
Hochmoral aus Buntheit und Fremdenliebe einher. Je weiter die Paradoxien
aufgespannt werden, desto schwieriger wird Kritik an ihnen, denn
entweder ist man wirtschaftsfeindlich oder rassistisch.
Und natürlich wusste bereits 2015 die Politik und die
Wirtschaft, wussten die Kirchen und die Gewerkschaften, die Parteien und
die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, dass hauptsächlich junge
Männer nach Deutschland strömten, die zum Großteil weder Flüchtlinge
noch Asylberechtigte waren. Deswegen wurde ja auch mit sofortiger
Wirkung der Begriff "Geflüchteter" eingeführt, was den Unterschied
zwischen einem Flüchtling und einem Arbeitsmigranten verwischen sollte.
Und zeitgleich wurde die Parole ausgegeben, dass nun endlich die
deutschen Renten wieder sicher seien. Was das mit dem humanitären
Imperativ, der allenthalben beschworen wurde, zu tun haben sollte,
konnte dann niemand so recht erklären. Paradoxien eben allenthalben.
Die nun endlich wieder am Sankt-Nimmerleins-Tag als
sicher ausgerufenen Renten dienten dazu, das Vorhaben, die geschenkten
Menschen niemals wieder abziehen zu lassen, ökonomisch zu unterfüttern.
Die "nationale Kraftanstrengung", die unser aller Bundeskanzlerin
einforderte, um Abschiebungen durchzuführen, wurde selbstverständlich
nie in Angriff genommen. Denn das neue Heer an jungen kräftigen Männern
kann recht erfolgreich gegen die drohende Hochlohnmoral der deutschen
Arbeitnehmer eingesetzt werden.
Dank Männerüberschusses bleibt Deutschland ein Billiglohnland
Der Ausspruch Wolfgang Schäubles, dass sich ohne
Einwanderung der europäische Kontinent in Inzest ergehen würde, kann man
genauso biologisch wie auch ökonomisch lesen: ohne die Konkurrenz des
neuen Prekariats wäre es wohl zu dringend notwendigen Lohnangleichungen
in Deutschland gekommen. Mithilfe des konkurrierenden Männerüberschusses
jedoch bleibt Deutschland ein Billiglohnland und kann weiterhin so
erfolgreich exportweltmeistern, dass den Griechen und Italienern nur
noch die Ohren schlackern.
Man kann es als Zufall (oder Irrsinn) ansehen,
wirklich jeden ins Land zu lassen, aber niemanden mehr aus dem Land
heraus zu lassen. Genauso gut kann es aber auch Teil einer Rechnung
gewesen sein, die Verteilungskämpfe bis hin zum Bürgerkrieg in Kauf
nimmt, weil sich die herrschende Klasse in Deutschland recht sicher sein
konnte, dass die Deutschen schon nicht aufbegehren würden, solange sie
der Bannstrahl des Nazi-Vorwurfs noch einschüchtert. Aber da hat die
herrschende Klasse die Rechnung mal wieder ohne die Sachsen gemacht,
wobei der Begriff "Sachse" hier als Typenbezeichnung gelten soll für all
jene, denen zynische Wohlstandsverteilung eben nicht vor Freiheit und
Eigensinn geht.
Dass die herrschende Klasse noch immer nicht genug hat
von ihren Plänen, ein halbwegs ordentlich funktionierendes Sozialwesen
zu zerstören, wird an dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz,
kurz FEG, deutlich, das am 19.12.2018 vom Kabinett Merkel beschlossen
wurde. Dieses FEG schickt sich nun an, nach den "Geflüchteten" ein
weiteres Millionenheer nach Deutschland zu locken – und richtet sich
eben ganz ausdrücklich nicht nur an Fachkräfte, auch wenn der Name etwas
anderes suggerieren soll.
Neben der Eingliederung der abgelehnten
„Geflüchteten“, die seit 2015 über das Asylgesetz nach Deutschland kamen
– also der Umwandlung von Illegalität in Legalität – spricht das FEG
neben den Fachkräften mit Ausbildung und Arbeitsplatz vor allem jene aus
dem nichteuropäischen Ausland an, die ihr Glück in Deutschland
versuchen wollen. Jeder soll kommen können, ob gelernt oder ungelernt,
ob mit Ausbildungsplatz oder ohne, ob mit Deutschkenntnissen oder eben
ohne. Für einen Zeitraum von sechs Monaten muss nur nachgewiesen werden,
dass der Lebensunterhalt allein bestritten werden kann. Wichtig auch
hier: Bewerber müssen unter 25 Jahre sein. Es werden also wieder
vornehmlich Jungmänner angesprochen, damit der drohende Inzest
aufgehalten, die Rente gesichert und der Bürgerkrieg weiter
vorangetrieben werden kann.
Stolz auf etwas, das sich nie wiederholen kann, soll und darf
Nur: Was passiert, wenn das Visum nach sechs Monaten
ausgelaufen ist und keine Ausbildungsstelle, kein Arbeitsplatz und kein
Praktikum ergattert wurden? Nun, die nächste Anlaufstelle von Pro-Asyl
dürfte nicht allzu weit entfernt sein, und die dortige Beratung, wie man
erfolgreich einen Asylantrag stellt, soll ganz ausgezeichnet sein. Wenn
man bedenkt, dass als sichere nichteuropäische Herkunftsstaaten, bei
denen Asylverfahren im Schnelldurchgang entschieden und Abschiebungen
durchgeführt werden, im Moment nur Gambia, Senegal und Ghana gelten,
dürfte diese unkontrollierte Einladung an den Rest der Welt nicht
unerhört bleiben. Statt „Rien ne va plus" heißt es dann wieder „Faites
vos jeux!“: Nach langer Prüfung und rechtlichen Einspruchsmöglichkeiten
kommt erst eine Ablehnung durch das Bundesamt für Migration, dann eine
Duldung und schließlich eine Daueraufenthaltsberechtigung inklusive
Hartz IV. Dafür ist Deutschland ja spätestens seit 2015 international
bekannt. Atemberaubend ist, dass die herrschende Klasse mit einem
derartigen Gesetz immer noch durchkommt.
Es muss eine déformation psychologique
in Deutschland vorliegen, die der unablässigen Zerstörung des Landes
keinen Einhalt gebietet. Sehr, sehr viele Menschen in Deutschland sind
sehr, sehr stolz darauf, dass dieses Land Millionen Fremde in kürzester
Zeit hat bei sich einziehen lassen. Ob man es das deutsche
Flüchtlings-Sommermärchen nennt oder es an der großartigen Größe der
humanitären Kanzlerin festmacht: Die Öffnung Deutschlands für Millionen
Menschen aus aller Welt hat die Wiedergutwerdung der Deutschen
abgeschlossen und ein für allemal in der Erden fest eingemauert.
Dass eben jene Kanzlerin, die für diese
Wiedergutwerdung verantwortlich zeichnete und für sie sogar 2017
wiedergewählt wurde, trotzdem verlautbaren lassen konnte: "Eine
Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht
wiederholen" – ist eine weitere jener Paradoxien, die schlicht nicht
auflösbar sind. Im Klartext: Deutschland ist stolz auf etwas, das sich
nie wiederholen kann, soll und darf.
Diese einzigartige Fähigkeit zur Schizophrenie ist den
Deutschen tief eingeschrieben. Sie entspricht dem Paradoxon, Silvester
2018 nun unter den Scheinwerfern des Doms und den geladenen
Maschinenpistolen der Polizei verbringen zu dürfen, während abgeschobene
Gewalttäter weiterhin ungehindert die deutschen Grenzen überqueren
dürfen („Er ist wieder da!“). In Sachen Schizophrenie macht niemand den Deutschen etwas vor.
Auf 2019!
Das und noch viel mehr behandelt
Markus Vahlefeld in seinem neuen Buch: Macht Hoch die Tür – Das System
Merkel und die Spaltung Deutschlands, Oktober 2018, erhältlich hier: www.markus-vahlefeld.de
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