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Höchstinstanzlicher Einspruch
Es gibt keine belastbaren Informationen für Hetzjagden in
Chemnitz, sagt der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen.
Damit setzt er Kanzlerin Angela Merkel unter Druck, die sich diese
Behauptung zu eigen gemacht hatte
Eine Frage von politischer Brisanz: Gab es Hetzjagden oder nicht? / picture alliance
Und dann hat es Bumm gemacht. Verfassungsschutzpräsident
Hans-Georg Maaßen tut kund: Es gab nach den Informationen seiner Behörde
keine Hetzjagden in Chemnitz. Und das Video, auf dem einem fremdländisch aussehenden Mann kurz nachgestellt wird,
ist zweifelhaften Ursprungs und laut Maaßen sprechen gute Gründe dafür,
es handele sich dabei um „gezielte Falschinformation, um möglicherweise
die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“
Diese Aussage ist höchstinstanzlich. Es gibt keinen, der mehr
Kompetenz hätte, dieses Urteil zu treffen als der Präsident des
Verfassungsschutzes. Seine Aussage deckt sich mit jener der örtlichen
Staatsanwaltschaft. Und sie lässt die Kanzlerin und ihren Sprecher sehr
schlecht aussehen, weil beide sich der Hetzjagd-Erzählung angeschlossen
hatten. Steffen Seibert tat das in einer unnötig pathetischen Art und Weise.
Mit Maaßens Wortmeldung steht auch das Solidaritätskonzert in
Chemnitz mit 65.000 Zuschauern in einem neuen Licht da. Der Anlass ist
weitgehend weggebrochen. Es erweist sich, was sich früh abzeichnete. Die
ganze Empörung über Chemnitz war größtenteils abgelenkt, diente dazu
abzulenken. Abzulenken vom eigentlich empörenden Primärereignis:
Ein Mann ist bei einem Stadtfest von zwei bis drei mutmaßlichen Tätern,
die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, erstochen worden. Zwei
weitere schwer verletzt. Die zuständige Ansagerin des Konzerts in
Chemnitz brachte es fertig, sogar die Gedenkminute für das Opfer in
einen Zusammenhang mit rechtsradikaler Gewalt und Hass zu stellen.
Die „Mutter aller politischen Probleme“?
Politisch kommen Chemnitz und Maaßens Wortmeldung in einem erneut aufgeheizten Moment.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat mit seinem Satz, die
Migrationsfrage sei „die Mutter aller politischen Probleme in diesem
Land“, den Fehdehandschuh gegen Merkel wieder aufgehoben und ihr
abermals vor die Füße geworfen. Drei Jahre jährt sich in diesen Tagen
die einsame Entscheidung Merkels, die Grenzen Deutschlands angesichts
der anschwellenden Flüchtlingsströme nicht zuzumachen. Was nach
Darstellung in einem akribisch recherchierten Buch (Robin Alexander:
„Die Getriebenen“) über die entscheidenden Sitzungen im Kanzleramt vom
zuständigen Chef der Bundespolizei Dieter Romann für möglich erklärt,
aber von Seiten Merkels und ihres damaligen Innenminister Thomas De
Maiziere verworfen wurde.
Maaßens Vorstoß ist über den Einzelfall hinaus hochpolitisch. Es ist
eine Revolte eines entscheidenden Dienstleisters, in diesem Fall des
Verfassungsschutzes gegen die politische Obrigkeit. Wenn
Polizeipräsident Dieter Romann, der bisher geschwiegen hat, es Maaßen
gleichtäte und drei Jahre später die Kernthese des Buches bestätigte,
dann stünde die Kanzlerschaft Merkels umgehend und ernsthaft in Frage.
Zumal mit Hessen und Bayern zwei Landtagswahlen vor der Tür stehen, die
Plebisziten über den Umgang mit der Seehoferschen „Mutter aller
politischen Probleme“ gleichkommen.
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