Liebe Eva Högl, wahrscheinlich
wissen Sie es schon: ich bin derjenige, die die kurze Sequenz aus dem Video
eines österreichischen Senders abgefilmt und online gestellt hatte, in der sie fröhlich winken und den Mund
aufreißen, während Martin Schulz vor Ihnen versucht, seine Textbausteine zu dem
IS-Massaker von Barcelona einigermaßen zu sortieren. Nein, ich hatte am letzten
Freitag nicht geglaubt, dass fast 700 000 Leute mein Video aufrufen würden.
Offenbar trifft es also bei sehr vielen einen Nerv. Und zwar völlig unabhängig
davon, ob die Leute Ihre Erklärung für plausibel haltern oder nicht, Sie hätten
anfangs nicht verstehen können, was Ihr Parteivorsitzender sagte. Nach einigen
Minuten konnten Sie es offensichtlich doch, jedenfalls setzten Sie dann ein
staatstragendes Gesicht auf. In Ihrer selbstexkulpierenden Erklärung hatten Sie
übrigens schon im ersten Absatz etwas über "Hetzer*innen" und die AfD
geschrieben. Ich weiß nicht, ob Sie mich damit meinen. Ich gehöre keiner Partei
an, und das Posten eines Videos, auf dem Sie herumhampeln, wird man schwerlich
als Hetze bezeichnen können.
Aber zurück zum eigentlichen Punkt: warum treffen
diese 20 Sekunden den Nerv so vieler Menschen? Weil manche Bilder
Wahrheitsbilder sind, die hochkonzentriert einen Zustand zeigen. Sehr, sehr
viele Menschen - wie Leute Ihres Berufsstandes sagen: die Menschen draußen im
Land - ertragen die Trauerphrasen nach jedem islamischen Anschlag nicht mehr,
die gespielte Bestürzung, die ausgiebige Schilderung des Leids, die Versicherung,
jetzt dürfe sich die Gesellschaft nicht spalten lassen - als ob das nicht schon
längst passiert wäre - , sie ertragen die allfällige Feststellung nicht mehr,
gegen den Terror gebe es nun einmal kein Mittel, es gebe "keine absolute
Sicherheit". Nach einer absoluten Sicherheit fragt niemand. Eine relative
Sicherheit würde den allermeisten schon genügen. Also: Ein Stopp der
ungeregelten Einwanderung von papierlosen jungen Männern, die in ihrer
übergroßen Mehrheit niemand politisch verfolgt. Eine Abschiebung aller 500 000
abgelehnten Asylbewerbern mit allen Mitteln des Rechts, auch der Abschiebehaft.
Eine Schließung aller salafistischer Moscheen. Die Anwendung des Paragraphen
129 a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) auf alle so genannten
Gefährder. Präventivhaft. All das ist nach der Rechtslage nicht nur möglich, sondern
sogar geboten. Und es ist Sache von Politikern wie Ihnen, diese größte relative
Sicherheit durchzusetzen. Sie sind stellvertretende Vorsitzende einer
Regierungsfraktion. Und was tun Sie? Nach dem Massaker von Paris hielten Sie
eine Rede im Bundestag, in der Sie verkündeten, die Schließung der Grenze für
wohlgemerkt illegale Einwanderung - um etwas anderes geht es gar nicht - müsse
auf jeden Fall unterbleiben, alles andere wäre "ein Kniefall vor den
Terroristen und Terroristinnen". Würden Sie in Fragen der ganz normalen
Lebenssicherheit von ganz normalen Menschen den gleichen Eifer wie beim Gendern
an den Tag legen, wäre das schon ein Schrittchen in die richtige Richtung.
Ich habe mir in den letzten drei Tagen auf Ihrer
Facebookseite angesehen, was Sie, Frau Högl, als Abgeordnete tun. Sie winken
sehr viel. Sie schütteln Hände. Sie wünschen Musliminnen und Muslimen einen
schönen Ramadan. Sie treffen sich mit den Mitgliedern irgendwelcher Vereine,
Sie weihen Denkmäler ein. Und Sie ermahnen die Bürger unentwegt zum friedlichen
Zusammenleben.
Wissen Sie was, Frau Högl: das zivile Zusammenleben
bekommen die Bürger und Bürgerinnen ganz gut allein hin. Alles, was sie dafür
brauchen, ist ein Staat, der die Einhaltung von Recht durchsetzt, der eine
menschenmögliche Sicherheit garantiert, ordentliche Verkehrswege und gute
Schulen. Dafür ist tatsächlich der Staat zuständig und niemand anderes. Dafür
zahlen nicht alle aber doch ziemlich viele Bürger Steuern. Sie, Frau Högl, sind
Spitzenkandidatin der SPD Berlin, Sie wirken also sehr weit oben in dem
Landesverband der Partei mit, die Berlin seit ewigen Zeiten regiert. Ich weiß
nicht, ob Sie sich dafür interessieren: aber Berlin ist die unsicherste Großstadt
Deutschlands. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind miserabel. Steigen Sie
einmal in Lissabon oder Singapur in eine U-Bahn, wenn Sie wissen wollen, wie
Nahverkehr im 21. Jahrhundert aussieht. Die Berliner Schulen zählen anerkanntermaßen
zu den schlechtesten des Landes. Kurzum: alles, wofür Sie und andere Politiker
tatsächlich Verantwortung tragen, liegt im elenden Zustand darnieder. Als
Politikerin beschäftigen Sie sich stattdessen ausschließlich mit Dingen, die
Sie nichts angehen. Auf allen Feldern, die Angelegenheiten des Staates sind,
sagen Sie entweder nichts. Oder, im Fall der gesetzlich vorgeschriebenen
Grenzsicherung, dass es nicht geht.
Und dazu kommt noch ein zweiter Punkt, der mehr und
mehr Menschen auffällt, und der sie wütend macht: Sowohl der islamische Terror
- Sie wissen schon, die Terroristen und Terroristinnen - als auch die
eingewanderte Alltagskriminalität: beides trifft Normalbürger und nicht
Politiker. Politiker wohnen auch außerordentlich selten in den gründlich
verbunteten Vierteln wie Moabit oder dem Essener Norden. Ihre Kinder gehen
nicht auf Schrottschulen. Politiker sind nicht auf öffentliche Verkehrsmittel
angewiesen. Auch nicht auf das gesetzliche Rentensystem.
Genau diese Dinge schießen in dieser Videosesquenz
zusammen, in der Sie lachen und quietschen, als würden Sie auf einem
Karnevalswagen stehen und Kamelle schmeißen, während der SPD-Chef Sätze
ineinanderschachtelt, die auf den Punkt zulaufen: traurig das alles in
Barcelona. Aber leider nichts zu machen. Sie, Eva Högl, sind die Inkarnation
der in einer Partei aufgestiegenen Gschaftlhuberin, die unentwegt irgendwo
zugegen ist, sich zu Wort meldet, Pressemittelungen herausgibt, ihr Gesicht in
die Kamera hält und ansonsten die Arbeit als Mitglied eines Verfassungsorgans verweigert.
Sie sind, das haben Sie mit Ihrem Auftritt geschafft, ein ikonografischer Typus
für die spätrömische Phase der bundesdeutschen Demokratie geworden. Dieses
Status kann Ihnen keiner mehr nehmen.
Mit besten Grüßen, Alexander Wendt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen