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Haben wir angemessen auf Covid-19 reagiert?
STREITGESPRÄCH MIT SUCHARIT BHAKDI UND ULRICH MANSMANN am 28. August 2020
Über kaum etwas wird so gestritten wie über Corona und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Im wissenschaftlichen Streitgespräch treffen der „Corona-Skeptiker“ Sucharit Bhakdi und der Münchener Epidemiologe Ulrich Mansmann aufeinander.
Ulrich Mansmann ist seit 2005 Direktor des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an der Medizinischen Fakultät der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Der 61-jährige Mathematiker ist einer der führenden deutschen Wissenschaftler auf dem Gebiet Public Health.
Sucharit Bhakdi ist emeritierter Professor der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er war von 1991 bis 2012 Leiter des dortigen Instituts für medizinische Mikrobiologie und Hygiene. Der 73-Jährige forscht derzeit als Gastprofessor an der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Er gilt als einer der bekanntesten Kritiker der deutschen Anti-Corona-Maßnahmen. Unlängst erschien sein Buch „Corona Fehlalarm?“ (mit Karina Reiß) bei Goldegg.
Herr Bhakdi und Herr Mansmann, wir treffen uns hier in Hamburg, und Sie sind beide soeben mit dem Zug angereist. Hatten Sie wegen Corona ein ungutes Gefühl in der Bahn?
Prof. Ulrich Mansmann: Es war für mich seit März die erste Bahnfahrt. Deshalb war ich gespannt, wie es im Zug aussehen wird. Und es war sehr entspannt, es waren nur wenige Passagiere in den Waggons, alle trugen Masken, alle haben sich sehr vorbildlich verhalten. Insofern entstand für mich nicht das Gefühl, einer Gefahr ausgesetzt zu sein.
Prof. Sucharit Bhakdi: Ich wollte eigentlich auch mit der Bahn kommen, habe mich dann aber doch für das eigene Auto entschieden. Denn ich gehöre wie viele Millionen Menschen in diesem Land zu den latenten Hypertonikern. Das heißt, mein Blutdruck ist an der Grenze. Und wenn ich in einen Stresszustand komme, zum Beispiel, wenn ich eine Maske tragen muss, steigt mein Blutdruck über die Grenze der Therapiebedürftigkeit. Deswegen habe ich ein Befreiungsattest. Aber weil die Bahn diese Atteste nicht mehr anerkennt, hätte ich eben doch eine Maske tragen müssen. Deswegen bin ich dem Rat meiner Frau gefolgt und habe auf die Bahnfahrt verzichtet.
Herr Bhakdi, in Ihrem Buch „Corona – Fehlalarm?“ kritisieren Sie, Politik und Medien hätten ein irreführendes Bild über die Gefährlichkeit des neuen Virus verbreitet. Was meinen Sie genau?
Bhakdi: Die Gefährlichkeit eines Virus kann nur daran gemessen werden, wie viele Tote gefordert werden durch die entsprechende Infektionskrankheit. Und die Antwort ist schlicht und einfach, dass dieses Virus nicht mehr Tote fordert als eine mittelschwere Grippewelle.
Mansmann: Ich denke, neben den Toten wird es auch Spätfolgen des Coronavirus geben, die sind noch völlig unklar. Und es hat sich schon gezeigt, dass viele Leute selbst mit nicht so großen Symptomen an Spätfolgen leiden – wie etwa Müdigkeit oder Depressionen. Und letztendlich ist es ja ein Virus, das alle Organe befallen kann. Es ist eben kein Virus, das allein in der Lunge bleibt. Da sind noch viele Fragen offen.
Bhakdi: Aber diese offenen Fragen gelten auch für die anderen Coronaviren, auch für die anderen Grippeviren. Die Grippeviren greifen bekanntermaßen auch Organe an. Und von Spätfolgen können wir noch gar nicht reden, weil wir dazu noch keine Daten haben. Das dauert Jahre. Bislang gibt es jedenfalls keine Hinweise auf irgendwelche ungewöhnlichen Schäden außerhalb der Lunge.
Muss man nicht trotzdem Vorsorge treffen, Herr Mansmann?
Mansmann: Als der Lockdown ausgerufen wurde, war nicht klar, was für eine Krankheit auf uns zukommt. Dann gab es erste Daten aus China – ein Reproduktionswert von 2,2. Jeder normale Epidemiologe hätte bei dieser Zahl sofort Angst bekommen. Man hat ausgerechnet, dass Milliarden Menschen betroffen sein würden, wenn diese Epidemie nicht kontrolliert werden kann. Und ich denke, das waren Signale, die am Anfang doch auch Angst erregt und die auch gewisse Schritte begründbar gemacht haben. Ein Lockdown war damals begründet.
Bhakdi: Ich habe nichts dagegen einzuwenden und meine auch, dass die ergriffenen Maßnahmen am Anfang sinnvoll waren. Aber man hätte regelmäßig überprüfen müssen, ob es gerechtfertigt ist, diese Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Und jetzt, Mitte August, bin ich definitiv der Meinung, dass es reicht.
Herr Mansmann, halten Sie die derzeitigen Eindämmungsmaßnahmen noch für verhältnismäßig und angemessen?
Mansmann: Die Corona-Maßnahmen haben sich ja inzwischen geändert. Es
gibt eine lokale Kontrollzahl, das sind die 50 Fälle an Neuinfektionen
pro Woche pro 100 000 Menschen. Darüber kann man diskutieren, aber ich
glaube schon, dass diese Zahl eine vernünftige Grundlage darstellt, um
über entsprechende Eindämmungsmaßnahmen zu entscheiden. Im Moment wird
ja darüber nachgedacht, wie man mit Schulen und Kindergärten umgeht.
Das sind die wichtigen Fragen, die da im Raum stehen. An dem Punkt
schließe ich mich übrigens der Kritik von Herrn Bhakdi an, dass während
der Pandemie schon ein bisschen versäumt wurde, mit wissenschaftlichen
Instrumenten wichtige praktische Fragen des weiteren Verlaufs anzugehen.
Bhakdi: Die Feststellung stütze ich auf die Zahl von Neuinfektionen, die gemeldet wurden. Und zwar standardisiert auf durchgeführte 100 000 Tests. Die Zahl der Testungen ist ja immer gestiegen und damit natürlich auch die Zahl der positiven Befunde. Wenn man das macht, dann bekommt man eine Kurve, die keinen exponentiellen Verlauf zeigt.
Mansmann: Wenn aber mit den Neuerkrankungen auch die Testaktivitäten massiv zunehmen, ergibt sich ihre Aussage, ohne dem exponentiellen Wachstum zu widersprechen. Und die Testkapazitäten wurden und werden ständig ausgeweitet.
Herr Mansmann, in der Statistik der Corona-Todesfälle wird ja immer die Zahl genannt der „an oder mit einer Corona-Infektion Verstorbenen“. Ist das aus Ihrer Sicht statthaft? Immerhin macht es einen großen Unterschied, ob die Infektion ursächlich war für den Tod oder eben nicht.
Mansmann: Die Frage ist, was bedeutet „ursächlich“. Das „an“ und „mit“ kann man nicht trennen, und ich glaube, dass bei vielen Leuten, die an den Folgen einer Corona-Infektion sterben, durch das Virus gewissermaßen das Fass zum Überlaufen gebracht wurde. Sie sterben nicht am Virus selbst – wie auch jemand, der an einer Grippe erkrankt, nicht wegen der Grippeviren stirbt, sondern etwa an einer Superinfektion, die letztlich von Bakterien ausgeht, oder an Herz-Kreislauf-Versagen. Auch und gerade deshalb ist diese Corona-Epidemie für viele ältere Menschen ein enormes Risiko.
Bhakdi: Genauso wie bei Grippetoten ist das Coronavirus tatsächlich oft der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nur: Wenn eine Grundkrankheit vorliegt wie etwa Herzinfarkt, koronare Herzkrankheiten, Karzinom, Lungenkarzinom, Raucherlunge, dann sind das eben die Hauptverursacher, die jahrelang schon bestanden haben. Da haben wir Mediziner im Studium gelernt, dass die zugrunde liegende Krankheit die Todesursache ist. Bei Corona gilt das alles nicht mehr. In Belgien ist es sogar so, dass lediglich der Verdacht auf eine vorherige Corona-Infektion bestehen muss, um als „Corona-Toter“ in die Statistik einzugehen; da braucht es nicht einmal mehr eine Diagnose. Wenn jemand an Krebs gestorben ist, und ein anderer über den Verstorbenen denkt, dieser sei vielleicht mit dem Coronavirus infiziert gewesen, dann ist er eben ein Corona-Toter.
Herr Mansmann, wenn ein Corona-Infizierter vom Auto überfahren wird, zählt er dann als Corona-Toter?
Mansmann: Das mag mancherorts so sein. Und wenn es so wäre, wäre es jedenfalls nicht statthaft. Jeder Todesschein basiert auf einer Leichenschau, und diese Leichenschau müsste mit ärztlichem Sachverstand erfolgen. Leider sind Leichenschauen in Deutschland nicht von einer wünschenswerten Qualität.
Herr Bhakdi, Ihrer Ansicht nach ist Covid-19 nicht gefährlicher als andere Grippeerkrankungen. Sie sagen, die Letalitätsrate liege nicht bei 4 Prozent, wie vom Robert Koch-Institut behauptet, sondern deutlich darunter, also wohl eher bei jenen 0,36 Prozent, die im Zuge der Heinsberg-Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck ermittelt wurden. Wie kann es eigentlich sein, dass Wissenschaftler zu derart eklatanten Unterschieden kommen?
Bhakdi: Weil die Wissenschaftler, die unterschiedlicher Meinung sind, nie zusammenkommen, um die Sache gemeinsam zu diskutieren. Es gibt eine Kurve zur Übersterblichkeit wegen Corona. Und aus der geht hervor, dass die Übersterblichkeit um ein Vierfaches geringer ist als bei der Grippewelle vor zwei Jahren. Wobei bei Corona, wie gesagt, die zugrunde liegende Zahl der Todesfälle sowieso unrealistisch hoch ist, weil eben Herzinfarkte, Lungenkarzinome et cetera hinzugerechnet werden. Vor diesem Hintergrund kommen Sie um die Aussage nicht herum, dass Corona keineswegs gefährlicher ist als eine mittelschwere Grippe. Punkt.
Mansmann: Zumindest in Bayern, wo ich herkomme, sind die Verhältnisse anders. Dort ist das Vorgehen des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit so, dass diese Fälle recherchiert werden und in der Regel keine extremen Fälle wie „Beim Autounfall mit Corona verstorben“ in die Statistik hineingerechnet werden. Die offizielle Meldung des Robert Koch-Instituts sagt, dass bis heute 225 404 Personen in Deutschland während der Epidemie als infiziert registriert wurden. Davon sind 9236 Personen verstorben. Die sogenannte Fall-Sterblichkeit beträgt somit grob 4 Prozent. Nimmt man eine Dunkelziffer von etwa fünfmal mehr wirklich Infizierten, als offiziell registriert sind, so reduziert dies die Fall-Sterblichkeit auf 0,8 Prozent. Diese Dunkelziffer ist von ungeheurer Relevanz zur Bewertung der Epidemie. Eine Münchener Studie unter Michael Hölscher versucht, diese Zahl zu bestimmen.
Acht Promille der Infizierten sterben an den Folgen der Infektion?
Mansmann: Ja.
Bhakdi: Nach meinen Berechnungen und den internationalen Studien zufolge, die ich gesehen habe, liegt die Sterblichkeit sogar nur zwischen einem und drei Promille.
Herr Mansmann, Sie sind nicht nur Epidemiologe, sondern auch Mathematiker. Wie bewerten Sie die täglichen Zahlenbulletins zu Corona, insbesondere vor dem Hintergrund der Dunkelzifferproblematik?
Mansmann: Für mich das Wichtigste bei diesem täglichen Ritual ist die Zahl der Infizierten. Ich nehme die für mich mal fünf, weil ich davon ausgehe, dass es eine gewisse Dunkelziffer gibt. Das war, Stand Mitte August, in den letzten 14 Tagen die Zahl von etwa 10 000 momentan Infizierten. Für mich bedeutet das etwa 50 000 Infizierte, die in der Population vorhanden sind. Das sind im Moment etwa 63 pro 100 000 Einwohner – eine geringe Zahl.
Bhakdi: Ich bin auch der Meinung, dass die Dunkelziffer während der Epidemie tatsächlich um ein Fünf- bis Zehnfaches höher liegt. Allerdings bin ich nicht der Meinung, dass die Dunkelziffer auch so hoch ist, wenn die Epidemie zu Ende geht. Im Gegenteil, ich glaube, dass die Dunkelziffer viel kleiner ist. Die sinkt und sinkt, weil die Zahl der echten Infektionen sinkt, und wir im Bereich des Rauschens der falsch positiven Testergebnisse verbleiben. Der Anteil der fälschlicherweise positiven Testergebnisse liegt immer bei ungefähr 1 bis 2 Prozent. Wenn Sie also 10 000 Tests durchführen, müssten demzufolge eigentlich 100 bis 200 falsch positive Testergebnisse dabei sein. Und wenn Sie 100 000 Testungen machen, müsste man dementsprechend bei 1000 bis 2000 falsch positiven Testergebnissen landen. Der Fehleranteil von bis zu 2 Prozent bei den positiven Testergebnissen ist seit Mitte Mai aber nicht mehr überschritten worden. Wäre die Epidemie noch am Laufen, würde die Rate der positiven Tests deutlich über 2 Prozent liegen.
Herr
Bhakdi, Sie schreiben in Ihrem Buch, die Corona-Epidemie sei bereits
Mitte April zu Ende gegangen – und haben diese Einschätzung soeben noch
einmal untermauert. Andererseits heißt es, eine zweite Welle stünde
bevor oder sei sogar schon da.
Bhakdi: Das kommt daher, dass die Zahl der Testungen jeden Tag
gesteigert wird. Seit Juni hat sich die Zahl der Testungen
unsinnigerweise verdoppelt. Es gibt eigentlich ein Gesetz bei den
Epidemiologen: Wenn es so gut wie keine Erkrankten mehr gibt, musst du
mit den Testungen aufhören. Das hat Bundesgesundheitsminister Spahn
selbst mal gesagt. Weil sonst nämlich die Zahl der falsch positiven
Testergebnisse ins Unerträgliche und Unverantwortliche steigt. Das ist
das, was Herr Spahn im Augenblick erzwingt: Hoch mit den Zahlen, hoch
mit den Zahlen, jetzt kommt die zweite Welle! Aber sie wird nicht
kommen, bis im November die Coronaviren jahreszeitlich bedingt ohnehin
wieder auftauchen.
Mansmann: Ich denke, die zweite Welle wird kommen, und es steht uns Ähnliches bevor wie damals in den Winterferien, als die Urlauber viel von der Epidemie mit zurück nach Deutschland gebracht haben. Es wird wahrscheinlich auch im Moment viel Krankheit durch Urlaubsrückkehrer nach Deutschland kommen. Und deshalb glaube ich, dass wir aufpassen müssen, dass die zweite Welle nicht genauso anrollt, wie sie damals angerollt ist. Damals ist sie wahrscheinlich deshalb so stark angerollt, weil dieses Zurückkehren aus dem Skiurlaub zeitlich zusammenfiel mit dem Fasching und den dazugehörigen Feiern. Ich glaube, da müssen wir derzeit wirklich aufpassen. Deshalb finde ich es auch angemessen, dass Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten in Quarantäne gehen.
Bhakdi: So eine Regelung gibt es normalerweise für keine Erkrankung. Warum soll es jetzt bei diesem Virus anders sein, das nicht gefährlicher ist als ein anderes mittelgefährliches Virus? Das ergibt für mich als Mediziner keinen Sinn. Noch ein Wort zur zweiten Welle: Herr Mansmann, ich bin absolut Ihrer Überzeugung, dass die zweite Welle von einem Coronavirus oder einem anderen Virus kommt. Jeden Herbst haben wir so eine Welle. Warum soll es also nicht auch hier eine Welle geben? Das ist nun mal die Gesetzmäßigkeit bei Coronavirus- und Grippevirus-Infektionen. Aber was wir aus dieser ersten Epidemie lernen müssen, ist, dass die Maßnahmen, die ergriffen wurden, nicht sinnvoll gewesen sind. Sie haben mehr Schaden angerichtet, als irgendeinen Nutzen gebracht. Und wenn wir das beherzigen für die nächste Welle, dann haben wir etwas gelernt. Wir können nicht ewig mit Lockdowns weitermachen, bis ein Impfstoff kommt. Das geht nicht, da gehen wir kaputt.
Mansmann: Aber der Lockdown ist doch aufgehoben. Maskentragen, Distanzieren, Hygieneregeln – das ist doch kein Lockdown. Der Lockdown war das Verbot, sich zu bewegen, die Wohnung zu verlassen. Und da stimme ich Ihnen zu, das sind Maßnahmen, die überdacht werden müssen, weil dadurch wesentliche Rechte einschränkt sind. Aber letztendlich zu sagen, dass wir jetzt in Deutschland unbeschwert unser Leben leben sollen, als gäbe es diese Epidemie nicht, ist im Moment meiner Meinung nach nicht angemessen.Bhakdi: Herr Mansmann, meinem Verständnis nach ist ein Zwang, etwas zu tun, was man nicht tun will, ein Eingriff in die Grundrechte. Und ich will keine Maske tragen. Würden Sie sagen, es ist okay, dass der Staat verlangt, dass ich etwas tue, was ich nicht will?
Mansmann: Ich glaube, hier findet durchaus eine angemessene Abwägung statt.
Der Staat schreibt auch vor, dass man innerorts nicht mit 250 Stundenkilometern im Auto über die Straßen brettert.
Bhakdi: Das sind Verkehrsregeln, die aufgestellt werden und die nicht in die Grundrechte eingreifen. Hier geht es darum, dass der Staat den Bürgern etwas aufzwingt; dass in Nordrhein-Westfalen auch die Kinder in der Schule mit Masken rumlaufen müssen. Die übrigens nach einhelliger Meinung von Kinderärzten schädlich für das Gehirn sind.
Herr Mansmann, ist es aus epidemiologischer Sicht sinnvoll, Masken zu tragen?
Mansmann: Es ist sinnvoll, Masken zu tragen. Es ist nicht jede Maske an
jedem Ort gleichermaßen sinnvoll. Aber es gibt Masken, auch Stoffmasken,
die in einer Epidemie dabei helfen, andere Menschen zu schützen. Es war
ein Fehler, am Anfang der Epidemie den Nutzen von Masken deswegen
herunterzuspielen, weil es einfach nicht genug Masken in Deutschland
gab. Was hingegen die Frage angeht, ob es sinnvoll ist, Kinder in der
Schule Masken tragen zu lassen, muss ich Herrn Bhakdi recht geben. Es
existieren keine Beweise dafür, dass von Kindern relevante infektiöse
Aktivitäten ausgehen. Eine Maskenpflicht für Lehrer halte ich wiederum
für sinnvoll.
In Berlin und anderswo werden kurz nach Ferienende schon wieder die ersten Schulen geschlossen, weil einige Schüler positiv auf Corona getestet wurden.
Mansmann: Ich habe Schulschließungen nie für sinnvoll gehalten, weil die Schule nicht der Ort ist, wo das Virus verbreitet wird. Kaum ein junger Mensch erkrankt, Kinder erkranken nicht – und ich kann Ihnen auch nicht genau erklären, warum. Aber es ist so. Ich finde es gut, wenn man die gefährdeten Gruppen in den Pflegeheimen, in den Altersheimen, in den Seniorenresidenzen schützt. Das ist völlig in Ordnung. Aber das muss man nicht verlagern in andere Bereiche wie Sportplätze, Schwimmbäder oder eben auch Schulen.
Bhakdi: Ich möchte ergänzen, dass es bislang auch nicht einen einzigen großen Ausbruch in einem Kaufhaus oder einem Büro gegeben hat. Die Leute, die schwer erkrankt sind, sind die Älteren, Alten, Pflegebedürftigen. 50 bis 60 Prozent der Todesfälle sind in den Pflegeheimen gewesen. Deswegen sage ich noch einmal: Lasst uns die Gefährdeten schützen! Für alle anderen Bereiche brauchen wir nicht mehr zu tun als das, was wir bisher schon gemacht haben, um uns vor anderen Atemwegsinfektionen zu schützen.Herr Bhakdi, die
Kernthese Ihres Buches lautet, dass auf die Ausbreitung dieses neuen
Virus politisch völlig überreagiert wurde. Jetzt stellen wir aber fest, dass fast alle Länder auf der Welt
sehr strenge Maßnahmen ergriffen haben zur Eindämmung des Virus,
teilweise sogar deutlich strengere als in Deutschland. Spricht das nicht
doch irgendwie dafür, dass das Virus gefährlicher sein könnte als ein
normales Grippevirus?
Bhakdi: Ich weiß nicht, wieso diese zwei Dinge in einer Kausalität miteinander stehen sollten.
Bhakdi: Laut WHO-Definition weist eine positive Testung bei einem Corona-Verdacht eine Krankheit nach, die Covid-19 heißt. Was natürlich völliger Unsinn ist. Dadurch kam die ganze unselige Statistik zustande, und auch das Robert Koch-Institut hat sich lediglich an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation gehalten. Das ist das Problem.
Herr Mansmann, es gibt ja auch ein paar abweichende Beispiele. Schweden etwa hat wesentlich mildere Lockdown-Maßnahmen verordnet. Wie bewerten Sie den schwedischen Weg aus heutiger Sicht?
Mansmann: Schweden ist ein Land mit riesiger Fläche und wenig
Bevölkerung. Deshalb hat es andere Methoden eingesetzt als Deutschland.
In Schweden war es aber auch nicht ohne: Die Wirtschaft hat extrem
gelitten, höhere Schulen und Universitäten wurden geschlossen.
Kindergärten dagegen blieben offen, Grundschulen auch. Und die Leute in
Schweden haben sich diszipliniert verhalten. Von Corona betroffen war in
Schweden vor allem die Gruppe der prekär lebenden Migranten. Dafür hat
Schweden, glaube ich, auch keine richtigen Lösungen gehabt. Trotzdem
würde ich den schwedischen Weg nicht als falsch bezeichnen.
Herr Bhakdi, derzeit wird weltweit an einem Impfstoff gegen Corona gearbeitet. Was versprechen Sie sich davon?
Bhakdi: Ich denke nicht, dass ein Impfstoff entwickelt werden muss, im
Gegenteil. Aber das rührt von meinem Hintergrund als
Infektionsimmunologe her. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
Schweinegrippe, die ähnlich wie Corona eine sehr niedrige Letalität
hatte. In solchen Fällen müssen Sie belegen, dass Sie mindestens
100 Menschenleben retten oder schützen, wenn Sie 10 000 Menschen impfen.
Und in Skandinavien wurde mehr als der Hälfte der Bevölkerung ein neuer
Schweinegrippe-Impfstoff verabreicht, der nicht ausreichend geprüft
wurde. Es trat daraufhin eine ganz furchtbare Nebenwirkung auf, die
nicht vorherzusehen war, und zwar bei einer von 10 000 geimpften
Personen.
Nämlich?
Bhakdi: Die Schlafkrankheit, Narkolepsie. Es waren alles Kinder und
junge Leute, die sowieso nicht gestorben wären an der Schweinegrippe.
Aber wir haben 2000 solcher Fälle in Europa. Und die können nicht mehr
normal leben, weil sie Schlafattacken bekommen.
Herr Mansmann, würden Sie sich impfen lassen, wenn es einen Corona-Impfstoff gäbe?
Mansmann: Wenn ein effektiver Impfstoff transparent dargestellt wird und
man versteht, wie er wirkt und was er soll, würde ich mich impfen
lassen. Aber im Moment wissen wir über die Immunität wenig Bescheid. Was
sie wirklich bedeutet und welche Wege dorthin führen sollen, das können
wir derzeit nicht beantworten. Wird es ein Impfstoff sein, der uns für
längere Zeit immun macht? Im Moment ist auch nicht klar, wie eine
Impfstrategie aussehen soll. Womöglich wird es eine Impfstrategie für
Hochrisikogruppen geben, die einen gewissen zeitlichen Schutz bietet und
ständig wiederholt werden muss.
Bhakdi: Ich halte insbesondere die Impfstoffverstärker, die sogenannten Adjuvantien, für äußerst problematisch. Und ein Corona-Impfstoff wird in hohem Maß Adjuvantien enthalten, das verspreche ich Ihnen. Ich war selbst in der Impfstoffentwicklung tätig und weiß, wovon ich rede. Diese Adjuvantien bergen das Risiko furchtbarer Nebenwirkungen. Und ich sage Ihnen, Herr Mansmann, ich würde mich nicht impfen lassen, weil die Gefahr, durch Adjuvantien zu erkranken, deutlich größer ist als die Gefahr, die vom Virus selbst ausgeht.
Herr Bhakdi, es gab in den letzten Wochen in Deutschland etliche sogenannte Anti-Corona-Demos. Würden Sie selbst eine solche Veranstaltung besuchen?
Bhakdi: Ich habe volles Verständnis für die Teilnehmer, weil das Leute
sind, die leiden. Ich selbst würde allerdings nicht dahin gehen, denn es
ist nicht mein Job zu demonstrieren. Mein Job ist es aufzuklären. Ich
versuche zu erklären, wie Immunität und Impfung funktionieren. Ich
versuche zu erklären, warum das Maskentragen in den Schulen sofort
aufhören sollte.
Herr Mansmann, wenn Ihr Kollege Bhakdi
sagt, als Wissenschaftler wolle er die Menschen aufklären, nehmen Sie
das für sich selbst mit Sicherheit auch in Anspruch. Allerdings haben
wir gerade im Verlauf der Corona-Krise und auch jetzt in diesem Gespräch
erlebt, dass Wissenschaftler aus derselben Fachrichtung durchaus zu
sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Hat das Image des
Naturwissenschaftlers, des Mediziners in den vergangenen Monaten Schaden
dadurch genommen, dass auch Ihre Branche letztlich keine klare Antwort
geben konnte?
Mansmann: Für klare Antworten braucht es erst einmal klare Fragen. Es
gab aber gar nicht so viele klare Fragen. Und es gab auch nicht immer
die Bereitschaft zu einer Umsetzung wissenschaftlicher Empfehlungen. Der
Punkt ist doch: Es entstehen täglich ungefähr 1700 neue
wissenschaftliche Artikel zu Corona, und niemand wird diese Flut
ernsthaft bewerten, geschweige denn konkrete Schlussfolgerungen daraus
ableiten und umsetzen können. Ich bin selbst als wissenschaftlicher
Gutachter wichtiger Fachzeitschriften tätig und kann Ihnen sagen: In der
Corona-Zeit wurde eigentlich nur bei wenigen Artikeln wirklich gute
Wissenschaft in Echtzeit geliefert. Da wurde auch vieles vorgelegt, das
an den Standardregeln unserer Wissenschaft kläglich scheitert.
Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.
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