Mittwoch, 10. August 2016

Linksextremismus - Wo der Rechtsstaat draußen bleibt

Aus "Focus"
Sie predigen Hass und bescheren Berlin eine Gewaltorgie: Seit Wochen terrorisieren Linksextremisten Teile der Hauptstadt. Unter dem Vorwand, sich gegen die „Vertreibung“ aus einem Szenequartier im Stadtteil Friedrichshain zu wehren, führen sie Krieg gegen den Staat. Fast jede Nacht zündet der Mob Autos an, schmeißt Scheiben ein und attackiert Polizisten. Am vergangenen Samstag wurden mehr als 120 Beamte verletzt, als sich 3500 Ultralinke zum gewaltsamen Aufstand gegen die „Bullenschweine“ verabredeten.
Die Bilder der Krawalle, die Titelseiten prägten und durch soziale Netzwerke jagten, haben viele geschockt, auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie verurteilte die Angriffe als „nicht akzeptabel“. Ihre rot-grünen Kollegen, deren Empörung nach Straftaten von Neonazis kaum Grenzen kennt, lassen solch klare Worte vermissen. Bis heute tabuisieren viele Politiker das Thema linke Gewalt oder stufen die Taten etwa von militanten Hausbesetzern als moralisch vertretbar ein.
Nirgendwo wird das Versagen des Staates deutlicher als in Berlin, wo sich die linke Hardcore-Szene über viele Jahre ungestört etablieren konnte. Blutige Ausschreitungen am 1. Mai und Anschläge auf Bahnanlagen oder Immobilien taten die Hauptstadtregenten gern als Folklore ab. Statt den Brandstiftern und Steinewerfern mit aller Härte entgegenzutreten, glänzt die Berliner Lokalpolitik durch Hilf- und Konzeptlosigkeit. FOCUS-Reporter haben die Hauptbeteiligten des Konflikts besucht. Ein Frontbericht.

Die Hausbesetzer
Graffiti, Polit-Parolen, Klassenkampf-Flair: Die Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain ist die derzeit heißeste Adresse der Republik. Teile des fünfstöckigen Mietshauses werden seit 1990 von Linksextremisten besetzt gehalten und bis heute erbittert verteidigt – als eine der letzten großen Bastionen der militanten Hauptstadtszene.
Jürgen, 30, braunes, kurzes Haar, trägt ein löchriges T-Shirt und lebt mit etwa 30 Gleichgesinnten im Hinterhaus. Die Gruppe nennt sich „Kollektiv“. Man teilt sich zwei Küchen und drei Badezimmer, alle wichtigen Entscheidungen werden basisdemokratisch im Plenum gefällt.
Viele der Radikalen, die den Staat hassen, leben auf dessen Kosten – von Hartz IV. Wer doch einen Job hat, gibt den anderen Geld ab. „Bei uns verhungert niemand“, erklärt Jürgen, der selbst keiner Arbeit nachgeht. „Das hier erfordert meine ganze Kraft“, sagt er und zeigt auf das besetzte Wohnhaus. Ob er auch schon Flaschen und Steine auf Polizisten geworfen hat? Da grinst Jürgen nur. „Gewalt gegen die Bullen ist legitim. Sie sind der Bodensatz der Gesellschaft und stehen für das kapitalistische System, das wir ablehnen. Und sie wollen uns hier unseren Lebensraum nehmen“, behauptet er. Nach dem für seine Begriffe völlig überzogenen Polizei-Einsatz gegen die Szene müsse Berlin „ins Chaos gestürzt werden“. Dass dabei Eigentum unbeteiligter Menschen zerstört wird, findet er gerechtfertigt. Im Kampf gegen das System ist offensichtlich jedes Mittel erlaubt. Jürgen, der aus Bayern stammt, lebt seit neun Jahren in Berlin. Er fühlt sich hier wohl. Im Treppenhaus steht die Parole „Kapitalismus ist Wellness, Wellness ist Kapitalismus“.
Der Polizist 
Es gibt einige Schreckensorte für Polizisten in Berlin, die Gegend um die Rigaer Straße 94 ist eine der heftigsten. Hier fühlen sich die Beamten als Zielscheibe. Immer wieder schlägt ihnen der Hass linksextremistischer Gewalttäter entgegen, die auch vor Mordversuchen nicht zurückschrecken. „Seit Jahren ist die Rigaer Kampfgebiet“, sagt Thilo S.*, Gruppenführer einer Einsatzhundertschaft. Immer, wenn es knallt, sind seine Leute vor Ort. Mit vorgetäuschten Notrufen – „Kommen Sie schnell, hier ist eine Schlägerei“ – lockt der linke Mob die Beamten in die Straße. Trifft ein Streifenwagen ein, hagelt es von den Dächern Pflastersteine, Gehwegplatten und Brandsätze. In den Häusern der Täter lauern andere Risiken: Klingeln unter Strom, Falltüren, angesägte Treppen. „Die wollen uns bewusst verletzen“, berichtet der Polizist. Deswegen fahren die Einsatzkräfte nur noch mit Mannschaftswagen vor, zehn Mann Besatzung, Helme griffbereit. Zurzeit sind drei Hundertschaften jede Nacht um die Rigaer stationiert. Einsatzkräfte, die woanders fehlen.
Seit elf Jahren ist Thilo S. bei der Polizei. Seinen Job mag er, die Umstände nicht. „Wir haben keine Lobby“, klagt der 29-jährige Berliner. Er verdient 500 Euro netto weniger als Kollegen in Bayern. Die Ausrüstung ist schlecht, die Personalsituation alarmierend. Die vergangenen 17 Wochenenden hat er durchgearbeitet. „Seit der rot-roten Regierung unter Wowereit wird an der inneren Sicherheit massiv gespart.“
Der Polizist fühlt sich von der Politik verraten – und von der Justiz im Stich gelassen. Bei einer Demonstration zerschlug ein Linksextremer eine Flasche auf dem Kopf eines Kollegen, der zum Glück seinen Schutzhelm aufhatte. Der milde Richter stufte die Tat als eine Art Kavaliersdelikt ein und verurteilte den Schläger zu drei Terminen bei der Sozialbetreuung. „Damit weiß ja jeder: Greif ich die ,Scheißbullen‘ an, kann mir nicht viel passieren“, sagt Thilo S. und schüttelt fassungslos den Kopf.
Die Nachbarn 
Katharina* wohnt mit ihrem Mann und drei Kindern in der 94, Vorderhaus, ganz legal. Ihre 3-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss kostet 650 Euro kalt. Die 28-jährige Polin ist, wie viele Nachbarn, vom täglichen Polizei-Aufmarsch genervt. „Oft geht die Gewalt von der Polizei aus“, behauptet sie, sogar ihr Mann sei schon geschlagen worden. „Der private Sicherheitsdienst des Vermieters ist nicht besser.“ Nachts könne sie kaum schlafen, klagt Katharina. Die Funkgeräte der Beamten, die lauten Stimmen, der Lärm des Polizeihubschraubers, die Lichtkegel der Taschenlampen. Bei den Krawallen seien auch Flaschen und Steine auf ihre Fenster geprallt. „Wir wollen doch nur unsere Ruhe zurück. Warum behandelt man uns so?“
Das fragen sich auch andere Kiezbewohner. „Da werden täglich kleine Kinder von Polizisten kontrolliert und daran gehindert, Freunde zu empfangen“, erzählt der Satiriker und selbst ernannte Kandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Olaf Bahn. Der 34-Jährige trat am 30. Juni in der angrenzenden Liebigstraße in den Hungerstreik, um gegen die Polzeipräsenz zu demonstrieren. „Die sollen die Menschen hier in Ruhe lassen“, fordert er. Andere Anwohner bringen weniger Verständnis für die Hausbesetzer auf. Fabio Cantarello*, 33, lebt seit drei Jahren mit seiner Frau und seinem dreijährigen Kind direkt gegenüber. Der Portugiese sympathisierte lange mit den autonomen Nachbarn. Sie waren schließlich immer freundlich, meistens friedlich. „Doch mittlerweile bin ich auf der Seite des Gesetzes“, sagt er nach Monaten im Ausnahmezustand. „Jeden Abend Gegröle, jeden Abend Lärm. Wir müssen unseren Sohn zum Schlafen ins Hinter- zimmer legen.“
Fabio ist Software-Entwickler bei einem expandierenden Start-up. Das Mehrfamilienhaus, in dem er lebt, ist frisch saniert, er zahlt 1200 Euro Miete. Und er ist einer von jenen, die zum Feindbild vieler Linksautonomen gehören: ein Zugezogener mit gutem Einkommen, für den ein Alteingesessener weichen muss.
Der Eigentümer 
Nach 14 Jahren hatte er die Nase voll. Keine Lust mehr auf teure Gerichtsprozesse, Pöbeleien, Bedrohungen und Anschläge. Ende 2014 verkaufte Suitbert Beulker, 56, sein Haus in der Rigaer Straße 94 an die Lafone Investments Limited mit Sitz in London. Die Trennung von dem Anwesen fiel dem Berliner nicht schwer – im Gegenteil. Denn als Eigentümer des skandalträchtigen Objekts musste Beulker, Szenespitzname „Beule“, um sein Leben fürchten.
Im September 2000 hatte der promovierte Verfahrenstechniker die abgewirtschaftete Immobilie gekauft, in der zu dieser Zeit Hausbesetzer und Billigmieter für zwei D-Mark pro Quadratmeter wohnten. Als er das Gespräch mit ihnen suchte, bedrängten sie ihn mit knallharten Forderungen: „Ich sollte ihnen das gesamte Haus für eine Mark überlassen“, erinnert sich der Investor. Als er sich nicht darauf einließ, zerstachen die Chaoten seine Autoreifen. Es folgte ein jahrelanger Zermürbungskrieg mit Räumungsklagen, Gerichtsterminen, Polizei-Einsätzen.
Die Autonomen verbarrikadierten sich, bauten Stahltüren ein, rissen Wände heraus. In seiner Ohnmacht wandte sich Beulker an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Erfolg: gleich null. „Die Politik hat sich einfach vor hochgradig Kriminellen weggeduckt.“
Der Hauseigentümer blieb mit seinen Nöten allein – und sah sich einer aggressiven, zu allem entschlossenen Horde gegenüber. Einmal beschimpfte ihn ein Vermummter als „Dreckschwein“ und rammte ihm zweimal eine Schere ins Gesicht, knapp über dem Auge. Zwei Jahre später woll- ten ihn Unbekannte mit einer Art Flammenwerfer abfackeln. Er kam mit Brandwunden an den Beinen davon, „weil ich schnell genug weggerannt bin“, so Beulker. Zehn Jahre stand er unter Polizeischutz. Zehnmal zog er innerhalb Berlins um. Immer nachts. „Meine Adresse stand im Internet, vor dem Haus versammelten sich Vermummte.“ Am Ende „konnte ich nicht einmal mehr ins Kino gehen, ohne angepöbelt zu werden.“ Da reichte es ihm. Er verkaufte die Rigaer 94 und zog nach Bayern: „Berlin ist für mich erledigt. In der Stadt gibt es keine Rechtssicherheit.“
Der Verfassungsschützer 
Der Chef des Berliner Verfassungsschutzes, Bernd Palenda, 55, begreift sich und seine Mitarbeiter als „Rauchmelder der Gesellschaft“. Wenn sie Gefahren erkennen, schlagen sie Alarm – und das nicht erst seit gestern.
Bereits vor 20 Jahren warnte die Behörde eindringlich vor dem Erstarken des Linksextremismus in Berlin. Der Anstieg der Gewalttaten im Jahr 1996 dürfte „kaum eine vorübergehende Erscheinung sein, sondern für einen bedrohlichen Trend stehen“, heißt es im damaligen Jahresbericht. Ihren Schwerpunkt setze die Szene dabei auf Hausbesetzungen. „Die Verteidigung so erlangten Wohnraums suggeriert einen Kampf um konkrete menschliche Grundbedürfnisse“, befanden die Staatsschützer. Sie prophezeiten, mit ihren Aktionen gegen Luxussanierungen würden die Auto-nomen zunehmend auch „nicht extremistische Gruppen mobilisieren und so zu mehr Gewaltakzeptanz beitragen“.
Angesichts dieser erschrecken-den Analyse hätten Berliner Politiker schon vor Jahren aufwachen und Konzepte gegen Gewalt von links erarbeiten können. Es geschah jedoch: nichts. Aktuell haben Palendas Leute einen neuen bedrohlichen Trend ausgemacht. Nach den Krawallen rund um die „Rigaer 94“ beobachte man einen ungewöhnlich starken „Solidarisierungseffekt“ mit den Tätern weit über Berlin hinaus. Die militanten Akteure hätten es geschafft, „eine zuvor zutiefst gespaltene und zerstrittene linksextremistische Szene zumindest temporär hinter sich zu bringen und im Kampf gegen aus ihrer Sicht politische und polizeiliche Willkür zu vereinen“, so die Einschätzung des Amtes.
Die linke Szene
Die Sicherheitsbehörden zählen derzeit in Berlin 2640 Linksextremisten, fast 1000 davon gelten als gewaltbereit. Wie aufgeladen die Hauptstadtszene ist, verdeutlicht ein Dokument auf der Internet-Plattform Indymedia, in dem die Chaoten ihre Anschläge auf Polizisten am 9. Juli rechtfertigen, bei denen 123 Beamte verletzt worden waren. In dem Text, dessen Diktion an Bekennerschreiben der Rote Armee Fraktion (RAF) erinnert, werden Polizeibeamte als „Abschaum“ und „Schweine“ bezeichnet. Die Autoren wünschen sich „Heckenschützen auf den Dächern“, die dafür sorgen sollen, dass es „beim nächsten Mal 234 verletzte Schweine“ gibt.
Die Entmenschlichung von Polizeibeamten und Graffitis wie „More Dead Cops“ (Mehr tote Polizisten) stellen laut Experten eine neue Stufe der Eskalation dar. In einer aktuellen internen Analyse befürchtet der Berliner Verfassungsschutz, dass „die Hemmschwelle gegenüber Leib und Leben noch weiter sinkt und auch der Schritt zur gezielten Tötung des politischen Gegners nicht mehr völlig undenkbar scheint“. Dass die linksextremistische Bewegung zu solchen Aktionen in der Lage ist, hat sie bewiesen: Am 12. Juni 1991 starb der leitende Mitarbeiter der Berliner Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Hanno Klein, durch die Explosion einer Briefbombe in seinem Arbeitszimmer. Auch ihn hatten die Linksextremisten als „Schwein“ tituliert. Wörtlich hieß es im Bekennerschreiben, Schweine wie Hanno Klein hätten „das Recht auf physische Unversehrtheit verspielt“.
Die Politik 
Der Berliner Senat agierte in der Causa Rigaer Straße von Anfang an plan- und hilflos. SPD und CDU schoben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation zu, ohne eine klare Linie im Kampf gegen die linken Störer zu finden. Symp-tomatisch für die Murkserei: Am Mittwoch erklärte das Berliner Landgericht die Teilräumung des umkämpften Objekts für rechtswidrig: Der Hauseigentümer war ohne Titel und Gerichtsvollzieher angerückt, um die Räume leerzuziehen – und muss die linken Besetzer nun, zumindest vorläufig, wieder einziehen lassen.
Während die Szene den Entscheid euphorisch feiert, steht die rot-schwarze Regierung als Verlierer da. Bereits zuvor hatten der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Innensenator Frank Henkel (CDU) ein blamables Bild abgegeben. Die beiden Noch-Partner treten am 18. September bei der Neuwahl des Senats gegeneinander an und nutzten den Streit um die „Rigaer 94“, um sich in Position zu bringen. Während Müller forderte, mit den Autonomen „Gespräche“ zu führen, lehnte Henkel dies ab: „Mit Gewalttätern gibt es nichts zu verhandeln.“ Bei seinem Aufruf zum Dialog hatte Müller wohl auf die Zustimmung von Linken und Grünen geschielt, die sich seit Längerem über die angebliche „Repression“ der Polizei aufregen. Schließlich deutet vieles darauf hin, dass es im Herbst nicht für Rot-Schwarz reichen wird.
CHRISTOPH ELFLEIN/ULRIKE PLEWNIA/GÖRAN SCHATTAUER/ SEBASTIAN SCHELLSCHMIDT/ CHRISTOPH WÖHRLE

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