Freitag, 16. Juli 2021

Das Volk der große Lümmel

 Allensbach-Umfrage

Das Volk, der große Lümmel (CICERO)

KOLUMNE: GRAUZONE VON ALEXANDER GRAU am 19. Juni 2021

Abermals dokumentiert eine Meinungsumfrage: Viele haben den Eindruck, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Wer die täglichen Kämpfe um Gendersprache, Cancel Culture und Political Correctness verfolgt, wird das nicht verwundern. Doch die Ursachen für diese Entwicklung liegen tiefer.

In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit. Wer das bezweifelt, riskiert den Ausschluss aus der etablierten Debattengemeinschaft. Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen und zur Tagesordnung übergehen. Wäre da nicht das Volk, der große Lümmel.

Das gibt nämlich seit Jahren zu Protokoll, dass es in Deutschland mit der Meinungsfreiheit nicht so gut bestellt ist. Trotz Grundgesetz und Artikel 5 und den zahlreichen Experten aus Jurisprudenz und Medien, die unisono die Meinungsfreiheit in Deutschland in keiner Weise gefährdet sehen.

Meinungsfreiheit „stark themenabhängig“

Entsprechend groß war die Ratlosigkeit, als im Mai 2019 das Institut für Demoskopie in Allensbach eine inzwischen einschlägige Umfrage veröffentlichte. Tenor: Eine große Mehrheit der Deutschen hat den Eindruck, das Recht auf Meinungsfreiheit sei „stark themenabhängig“. Zwei Drittel der Befragten zeigte sich sogar davon überzeugt, man müsse heute „sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“.

Am vergangenen Mittwoch nun, zwei Jahre später, veröffentlichte Allensbach eine neue, ähnlich gelagerte Untersuchung. Ergebnis: Nur 45 Prozent aller Deutschen sind der Ansicht, man könne seine politische Meinung frei äußern. Der niedrigste Wert, den Allensbach je ermittelte. Die Reaktionen? Absehbar.

Festgefahrene Debatte

Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen etwa befand in einem Gespräch mit dem RBB: „Völliger Kokolores“. Begründung: Jeder dürfe hierzulande eine Demo anmelden und polizeibeschützt den größten Unfug fordern. Allerdings dürfe man verbal nicht die Sau rauslassen und dann erwarten, dafür nicht kritisiert zu werden. Die Argumente sind bekannt. Die Gegenargumente auch. Die Debatte, sie ist festgefahren. Wie konnte es dazu kommen?

Zunächst, indem man bewusst missversteht und unterstellt, mit Meinungsfreiheit sei das Recht gemeint, zu beleidigen und dabei von Kritik verschont zu bleiben. Eher schon geht es darum, Kritik ihre Legitimität zuzugestehen.

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