Montag, 9. November 2015

Das Recht des Stärkeren

Focus 43/2015:
Herr Buschkowsky, Berlin-Neukölln liefert wieder saftige Schlagzeilen: eine Razzia bei Salafisten, ein heftiger Kopftuchstreit in der Verwaltung und jetzt der Vorschlag eines Abgeordneten, kriminellen arabischen Familien zur Strafe die Kinder wegzunehmen. Eine ganz normale Woche? 
Tja leider, in Brennpunktlagen sind solche Vorgänge an der Tagesordnung. Ein starker Anteil Migranten verstärkt die Verwerfungen noch. In Neukölln gilt eine andere Straßenverkehrsordnung, und die deutsche Gerichtsbarkeit erschreckt dort niemanden. Es sind Parallelwelten. Als Ordnungsinstanz sind Clan-Chefs und Friedensrichter an die Stelle von Polizei und Justiz getreten. Paragraf 1 lautet: Es gilt das Recht des Stärkeren.  
Welche Botschaft geht von Orten wie Neukölln aus?  
Dass es Grenzen der Integration gibt. Auch unter Migranten gibt es die, die ankommen wollen, fleißig sind und nach Wohlstand streben. Und dann sind da diejenigen, die einen bequemen Weg suchen, die Bildungsverweigerer und Ausschläfer. Häufig kommen tradierte Rollenmuster und ein archaisches Weltbild hinzu. Und unsere Schlafwagenpolitik kommt denen sehr gelegen 
...Schlafwagenpolitik?  
Ich meine damit den Kardinalfehler des Laissez-faire einer beobachtenden Gesellschaft. „Das ruckelt sich schon irgend-wie zurecht.“ Integration muss man wollen, einfordern und aktiv betreiben, und man darf nicht darauf warten, dass jemand Lust darauf hat. Das Ergebnis sind Menschen, die 50 Jahre im Land sind und seine Sprache noch immer nicht beherrschen.  
Verschärfen die vielen Flüchtlinge das Problem?  
Wenn wir so weitermachen, stehen wir bald vor großen Schwierigkeiten. Schauen Sie sich nur mal die Zahlen an. Die Europäische Union prognostiziert für die nächsten drei Jahre weitere fünf Millionen Flüchtlinge. Inklusive Familiennachzug wird Deutschland bis zum Jahr 2020 schätzungsweise zehn Millionen Menschen dazubekommen. Zehn Millionen! Noch nie hat es in so kurzer Zeit einen so großen Zustrom an Menschen aus anderen Kulturkreisen gegeben.  
Die Bundeskanzlerin sagt: Wir schaffen das.  
Wenn die Maschine erst richtig in Schwung ist, kriegen wir die Organisationsprobleme schon in den Griff. Sorge bereitet mir aber allein die große Menge der Menschen. Das wird unsere Gesellschaft heraus- und vielleicht auch überfordern.  
Inwiefern?  
Die Gewichte der Religionen werden sich verschieben. Dreiviertel der Flüchtlinge kommen aus muslimischen Ländern mit einer völlig anderen Wertestruktur. Die Zahl der Muslime in Deutschland wird sich verdreifachen oder vervierfachen, ihr Selbstbewusstsein wird stärker, ihr Anspruch auf politische Mitbestimmung wird wachsen und natürlich auch das Streben nach Dominanz im öffentlichen Leben. Staat und Religion sind für Muslime identisch.  
Was wäre daran so schlimm?  
Das kommt darauf an, wo man hin will. Wir stehen im Kontext der demokratischen westlichen Kultur, wir respektieren die Menschenrechte nach unserer Lesart. Wollen wir ein Winterfest statt Weihnachten, den Ruf des Muezzin neben dem Kirchengeläut? Sind Gesetze gottgegeben, oder werden sie vom Parlament beschlossen? Die Würde des Einzelnen ist unantastbar, egal, ob Mann oder Frau. Da dürfen wir nicht weichen, und die Auseinandersetzung müssen wir auch suchen.
Einwanderer haben das Land schon immer verändert. Oft zum Vorteil. 
Das wird auch so bleiben. Neue kulturelle Impulse inspirieren und stimulieren auch eine alternde Gesellschaft. Fortschritt richtet sich aber immer nach vorn, nie zurück. Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden, ein selbstbestimmtes Leben, persönliche Freiheit und ein humanistisches Weltbild – das sind die Dinge, die eine moderne demokratische Gesellschaft prägen. Da passt vordemokratische widerspruchslose Gehorsamspflicht einer gottgegebenen Ordnung nicht. 
Der Import einer solchen Ordnung ist kein Automatismus. 
Mag sein, aber in Gegenden wie Neukölln gilt sie bereits. Fragen Sie mal, was einem muslimischen Mädchen zu Hause blüht, wenn sie der große Bruder beim Händchenhalten an der Ecke erwischt.
Müssen wir das hinnehmen? 
Diese Entwicklung hin zum religiösen Fundamentalismus wird sich anscheinend nicht verwachsen, sondern erlebt gerade eine Renaissance. Es kommen natürlich auch Unterstützer für diese Welt von gestern ins Land. Ein Wertewandel ist unausweichlich. Wir leben alle mit einem großen Fundus an persönlicher Freiheit. Ich möchte, dass das so bleibt! 
Sie halten unsere Freiheit für bedroht? 
Zumindest wird es Versuche geben, Freiheit anders zu definieren. Wir gestalten Gesellschaft und Zusammenleben und laufen nicht wie die Lemminge Heilspredigern hinterher. Die muslimische Weltsicht ist mit dem demokratisch-westlichen Wertekanon nicht kompatibel. 
Viele Menschen haben Angst vor Überfremdung. Ist das typisch deutsch? 
Angst vor Fremdem ist in fast allen Menschen angelegt, das ist keine deutsche Spezialität. Beim Islam kommt die Furcht vor importierten Religionskonflikten und ihren grausamen Auswirkungen hinzu, der Fernseher liefert die Bilder frei Haus. Auch ich habe bisher nicht verstanden, warum Deutschland der Ausfallbürge für Religionskriege in der muslimischen Welt sein muss. Politik muss Sorgen und Ängste der Bevölkerung aufnehmen und kanalisieren. Sie darf auch die Schattenseiten der Migration nicht verschweigen. Sonst erstarken die Rechtsextremen. 
Die Regierungskoalition wirkt zurzeit eher wie ein Hühnerhaufen: drei Parteien – drei Positionen. Das ist fatal. Wenn die Elite des Volkes in einer solch zentralen existenziellen Frage nicht an einem Strang zieht, verunsichert dies das Land zusätzlich. Die Stimmung kann schnell kippen. Und dann mutieren Empathie und Hilfsbereitschaft zu Sozialneid und fanatisierender Ablehnung. 
Immerhin gibt es auch positive Schlagzeilen: Die Deutschen gelten jetzt in der Welt als hilfsbereit und warmherzig, weil sie die Flüchtlinge freundlich empfangen haben. Stimmt, dieses Kapital ist nicht mit Geld zu bezahlen. Alle Helfer und Ehrenamtler haben für Deutschland Punkte gemacht. Aber es ist auch eine gewisse Kritikunfähigkeit eingetreten. Wenn man nur darauf hinweist, dass wir erst am Anfang des Wegs sind und noch viele Anstrengungen auf uns warten, ist man schon der Stänkerer. 
Zum Beispiel? 
Ich glaube nicht an das Märchen, dass alle Syrer Ärzte sind und die übergroße Mehrheit aller Flüchtlinge hochqualifiziert ist. Das Gerede, dass die Flüchtlinge die Grundlage eines zweiten Wirtschaftswunders in Deutschland sind, ist Quatsch. Ich orientiere mich in dieser Frage eher an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Sie sagt, sie erwarte erst einmal ein Ansteigen der Arbeitslosenzahlen und der Hartz-IV-Empfänger. Und ein Modellversuch des Ministeriums hat ergeben, dass weniger als zehn Prozent direkt in den Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten. 
Was schlagen Sie vor? 
Integration heißt Sprache, Wohnung, Job. Selbst mit großer Anstrengung sind das Prozesse, die Zeit und Fleiß erfordern. Bei der Jobsuche können noch nicht vorhandene Qualifikationen selbst bei einfachen Tätigkeiten ein Hindernis sein. Umso mehr, wenn der Zwang zum Mindestlohn besteht. Ich könnte mir ein Aussetzen des Mindestlohns im Integrationsprozess durchaus vorstellen. Und sei es nur bei Städten und Gemeinden. Öffentliche Arbeit gibt es genug. 
Ihre eigene Partei wehrt sich mit Händen und Füßen gegen eine Aussetzung des Mindestlohns. 
Ja, ja, ich sehe schon die Plakate der Gutmenschen und die Schimpfkanonaden der hauptamtlichen Gewerkschaftsvertreter. „Sklaverei“ wird man rufen und damit zum Bremsklotz der Eingewöhnung in die hiesige Arbeitswelt werden. 
Ihre Parteifreunde wollen auch die Integrationsetats erhöhen. 
Wenn das Geld für Sprachkurse und die dafür nötigen 20 000 Lehrer, die es gar nicht gibt, gedacht ist – bitte sehr. Das ist nicht der Knackpunkt. 
Sondern? 
Schauen Sie nach Schweden! Dort gibt es trotz viel größerer Etats die gleiche partielle Integrationsverweigerung wie bei uns. Das Hauptproblem ist mangelnde Bildung und die Unlust zu lernen. 
Wie lösen wir dann das Problem? 
Es gibt keinen Königsweg. Was wir brauchen, ist Geduld und den festen Willen, die Neuankömmlinge in unsere westliche Gesellschaft zu führen. Auch wenn es den Beteiligten manchmal wehtut.

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